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Sternenfaust - 185 - Das erloschene Reich

Sternenfaust - 185 - Das erloschene Reich

Titel: Sternenfaust - 185 - Das erloschene Reich
Autoren: Manfred Weinland
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zumindest damals laut Überlieferung noch fünf – Eintracht, Friede und Fortschritt zu schenken.
    Vor dem Tod des Prinzipals hatte sich Taro keine großen Gedanken um den Wahrheitsgehalt dieser Legende gemacht. Sie war Teil seines Lebens. Er war mit der Überlieferung aufgewachsen, dass in dem Turm, der das Herz ihres Clusters bildete, eines jener weisen Wesen residierte, welche die Geschicke der Bewohner mit kluger und gütiger Hand lenkten.
    Als er immer langsamer wurde und schließlich stehen bleiben wollte, fasste Jinu seine Hand und zog ihn weiter.
    Der Schrein übte eine unwiderstehliche Anziehungskraft aus – doch gleichzeitig schien auch etwas von ihm auszugehen, das auf unbewusster Ebene davor warnte, ihm zu nahe zu kommen.
    »Spürst du …« Taro sammelte seine Konzentration und suchte Jinus Blick. »Spürst du das auch?«
    »Was meinst du?«
    Taro schüttelte sich, versuchte die Beklemmung abzustreifen.
    »Nichts«, wiegelte er ab und gab den inneren Widerstand auf. Die letzten Schritte zum Schrein fielen ihm deutlich leichter, vielleicht auch wegen der Wärme, die Jinus Hand auf ihn übertrug. Er genoss die Berührung bis in sein innerstes Sein.
    »Mir geht es genauso« , empfing er ihre Emotionen. »Ganz genauso!« Und nach einer kurzen Pause formte sich ein Bild wie ein Schwur in seinem Geist: Jinu, die ihrem Vada, dem Verkünder, gegenübertrat und ihm unmissverständlich klar machte, dass sie sich mit seiner Wahl eines Gefährten nicht einverstanden erklärte – dass sie ihre eigene Wahl getroffen hatte, von der sie nichts und niemand würde abbringen können!
    Doch wann in der Geschichte des Clusters hatte es schon einmal den Fall gegeben, dass ein Eheversprechen, das unter Familienoberhäuptern ausgehandelt worden war, auch wieder gebrochen oder korrigiert wurde?
    Nie , wisperte es tief in Taro. Aber eine wilde, irrationale Hoffnung erstickte das Stimmchen, bevor es die Kraft fand, sich in seinen Hirnwindungen festzusetzen.
    Zwei Schritte von dem Behältnis entfernt, in dem der Weise zur Schau gestellt war, blieben sie stehen.
    Jinu löste ihre Hand aus der von Taro und schien im Anblick des Toten zu versinken.
    Auch Taro ließ seine Augen über die zierliche Gestalt mit dem riesigen Kopf wandern.
    Taro erinnerte sich. Er war noch ein kleiner Junge gewesen, als der den Prinzipal zum ersten Mal gesehen hatte. Und schon damals hatte er sich gefragt, wie ein so schmächtiger Körper, ein so dünner Hals – der noch dazu zwei-, dreimal so lang war wie bei einem Karolaner – einen so schweren Kopf stemmen konnte.
    Der gespinstlose, nackte Schädel besaß ein erstaunlich kleines Gesicht, das statt einer Nase nur zwei strichförmige Öffnungen hatte, von denen nicht einmal sicher war, ob sie dem Weisen dazu gedient hatten, Gerüche aufzufangen oder zu atmen. Wie Karolaner auch hatte er einen Mund, der fast über die ganze Breite seiner Züge ging und von zarten Lippen umrahmt war, der selbst im Tode noch so viel Ausdruck, so viel Verständnis und Güte zu vermitteln vermochte, dass jedem, der das Glück hatte, es mit eigenen Augen zu sehen, ganz warm und weich ums Herz wurde.
    Am Eindrucksvollsten in diesem riesigen Gesicht, das den riesigen Schädel adelte, waren die Augen gewesen.
    Taro wünschte sich, er hätte noch einmal in diese Augen blicken können. Dass sie geschlossen waren, nahm Manak so viel von seinem Charisma, dass es fast schmerzte, ihn so daliegen zu sehen. Und für einen unbeschreiblichen Moment hatte Taro das abstruse Gefühl, dass die Augen des Toten ihn durch die geschlossenen Lider hindurch anstarrten.
    »Taro?«
    Erst Jinus Stimme löste ihn aus dem Bann.
    »Du zitterst!«
    Er machte eine Geste, um abzuwiegeln, obwohl er nun selbst merkte, wie ungewöhnlich heftig sein Körper auf die Sinnestäuschung reagierte, die ihn gerade überkommen war.
    »Sollen wir umkehren?«, fragte Jinu. Sie klang, als wäre sie dazu bereit, als wollte sie alles vermeiden, was seine Befindlichkeit beeinträchtigte.
    Er zog Kraft aus ihrer Zuneigung, die er vorbehaltlos erwiderte.
    »Nein, wir bleiben!«
    »Dir geht es nicht gut.«
    »Es ist alles in Ordnung.«
    Sie ließ sich überzeugen, weil Taro sich tatsächlich wieder gefangen hatte.
    Eine Weile standen sie reglos nebeneinander und nahmen, jeder auf seine Art, Abschied von dem Wesen, dessen genaues Alter kein heute lebender Karolaner zu nennen vermochte.
    Schon deshalb, weil niemand wusste, wie alt Manak gewesen war, als er mit der Schar der
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