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Die Augen Rasputins

Die Augen Rasputins

Titel: Die Augen Rasputins
Autoren: Petra Hammesfahr
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1. Kapitel
    Als die schwarzen Schuhe und darüber die schwarzen Hosenbeine in ihr Blickfeld gerieten, zuckte sie zusammen und richtete sich langsam auf. Sehr langsam, wie um Zeit zu gewinnen. Er kam um die Seitenwand des Vordachs herum ganz lässig die Stufen hinauf. Beide Hände in den Hosentaschen, lehnte er sich gegen die Wand und schaute auf sie hinunter. Sie war immer noch gut einen Kopf kleiner als er, war wohl nicht mehr gewachsen in den vergangenen sieben Jahren. Halb zehn, das war die Zeit für den Postboten. Einmal kurz klingeln, das war das Zeichen für einen großen, sperrigen Umschlag oder ein Päckchen. Für etwas jedenfalls, das nicht durch den Briefschlitz in der Haustür paßte. Der Postbote war immer sehr in Eile. Der wartete nicht ab, bis man an der Tür war, um die Sendung persönlich in Empfang zu nehmen. Er legte sie einfach auf den Fußabtreter vor die Haustür, drückte kurz auf den Klingelknopf und war gleich wieder weg. Einen Hektiker hatte Edmund ihn einmal genannt. Eddi, sie nannte ihren Mann niemals bei seinem vollen Namen, dachte nicht einmal an ihn als Edmund. Eddi. Oder in besonderen Fällen Ed! Er war Psychologe, Therapeut, er verstand alles und konnte alles erklären. Er konnte sogar erklären, warum ein Mann, den er nie zu Gesicht bekommen hatte, immer in Eile war und alles, was nicht durch den Briefschlitz in der Haustür paßte, einfach auf den Fußabtreter legte. Egal! Damit jedenfalls hatte sie gerechnet, mit einem Päckchen oder einem sperrigen Umschlag. Deshalb hatte sie die Tür geöffnet und sich praktisch aus einem Reflex heraus gleich gebückt. Reine Gewohnheit. Ed hätte auch das erklären können, hatte es vermutlich sogar einmal getan. Aber was Ed einmal getan oder nicht getan hatte, war nicht wichtig in dem Moment, weil da eben das Paar schwarzer Schuhe war und die schwarzen Hosenbeine darüber. Auch sein Hemd war schwarz und die Lederjacke, die er nur lose über einer Schulter hängend trug. Es war zu warm, um sie überzuziehen, die erste Septemberwoche. Den ganzen August über hatte die halbe Welt unter der Hitze gestöhnt. Jetzt ließ es allmählich nach, aber eine Jacke brauchte man immer noch nicht, weder morgens noch abends. Bei ihm war das wohl anders, er trug diese Lederjacke nicht gegen Wind oder Kälte, sondern wie ein Statussymbol. Vielleicht als Erkennungszeichen. Sie starrte ihn an und registrierte im ersten Augenblick nur, daß sich nichts an ihm verändert hatte. Absolut nichts! Die Kleidung, die Schuhe, alles so wie damals. Nicht einmal älter schien er geworden zu sein, war von Kopf bis Fuß noch genauso, wie sie ihn zuletzt gesehen hatte. Vor sieben Jahren. Im Gerichtssaal. Wo sie sich nach der Urteilsverkündung an ihn klammerte in dem irrsinnigen Glauben, ihn auf diese Weise halten zu können. In der Hoffnung, ihre Umarmung würde aller Welt begreiflich machen, daß man ihn nicht einsperren, daß man sie beide nicht trennen durfte. Als die beiden Polizisten ihn gewaltsam von ihr fortrissen. Als sie ihn auf die Tür im Hintergrund zuschoben, durch die sie ihn vorher auch hereingebracht hatten. Als sie dachte, sie würde sterben, auf der Stelle tot umfallen, zumindest in Ohnmacht, weil sie ihn dann vielleicht noch einmal zu ihr ließen. Nur für ein paar Minuten. Als er sich bei der Tür noch einmal zu ihr umdrehte. Als er quer durch den Saal rief:

    »Ich bin bald wieder da, Püppi. Sei tapfer. Und lern schön, damit dir die Zeit nicht lang wird. Eines Tages zahlt sich das aus, wenn man was gelernt hat. Du wirst es erleben. «

    Und sie dabei anschaute mit diesem Blick, der sie immer zu einem Stückchen Butter in der Sonne machte.

    Eine Kußhand hatte er ihr zugeworfen, daran erinnerte sie sich noch deutlich. Eine Kußhand und ein Lächeln, damals, vor sieben Jahren, bevor sie die Tür hinter ihm schlossen. Und jetzt stand er hier vor der Tür. Er grinste, vielleicht weil er sich freute, sie zu sehen, vielleicht weil er unsicher war, sie wußte es nicht. Sein Gesicht schien ihr bei längerem Hinsehen etwas schmaler geworden zu sein, aber rund war es auch damals nicht gewesen. Ein längliches, immer leicht melancholisch wirkendes Gesicht mit einer geraden Nase, grauen Augen, einem ganz normal geschnittenen Mund. Genaugenommen ein Dutzendgesicht, nicht hübsch und nicht häßlich. Es war eigentlich nie etwas Besonderes daran gewesen. Und vielleicht lag es nur an dem schwarzen Hemd, daß es ihr jetzt ziemlich blaß vorkam. Aber wahrscheinlich lag es an
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