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Die Augen Rasputins

Die Augen Rasputins

Titel: Die Augen Rasputins
Autoren: Petra Hammesfahr
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daß bei ihr alles ganz anders sein würde. Viel besser, intensiver, romantischer, perfekt eben. Eine vollkommene Harmonie zwischen zwei Menschen, Übereinstimmung von Körper und Geist. Sie hatte ein gutes, wenn auch etwas neutrales Verhältnis zu ihrer Mutter gehabt, in ihrem Vater eine Art Herrgott gesehen, dessen Wort noch ungeschriebenes Gesetz war. Ein nicht immer gütiger und gerechter Gott, aus geringstem Anlaß strafend und dabei regelmäßig über das angemessene Ziel hinausschießend. Mit der acht Jahre älteren Dorothea hatte sie sich ausgezeichnet verstanden, war von der Schwester mit guten Ratschlägen und Lebensweisheiten versorgt worden. Wie bringe ich einen Jungen, der schon sechzehn ist, dazu, sich in mich zu verlieben. Wie entferne ich den Nagellack von meinen Fingern so, daß Papa gar nicht merkt, daß sie lackiert waren. Das Nesthäkchen, verwöhnt, umsorgt und gehätschelt. Keine Schwierigkeiten in der Schule, keine Probleme, den heißersehnten Ausbildungsplatz bei einem Goldschmied zu finden, ein herzliches Verhältnis zu Albert Retling, ihrem Chef, ein ebenso herzliches zu dessen Frau. Etliche lockere Freundschaften mit Jungen und Mädchen ihres Alters, beliebt bei jedermann. In diesem Zeitraum klangen nur einige wenige Passagen nach Dunkelheit und Unfrieden, und die betrafen nicht einmal sie selbst, sondern Dorothea, die anscheinend in ständigem Streit mit dem Vater lebte und dessen unheilvolle Wutausbrüche immer wieder aufs neue herausforderte. Es gab ein paar harmlose Schwärmereien für Schulkameraden, Schlagersänger und Schauspieler. Etwas später kamen Eintragungen über die nur sparsam erlaubten Besuche einer Diskothek. Und dort hatte sie das Scheusal kennengelernt.
    In den beiden Jahren, in denen Eddi für sie noch ausschließlich Ed gewesen war, der verständnisvolle Therapeut, der alles erklären konnte, hatten sie häufig darüber gesprochen, wie es gewesen war mit Heiko Schramm, warum es überhaupt hatte geschehen können. Ed hatte sie nie verurteilt. Er hatte sie verstanden. Die Enttäuschung an all den Sonntagen, wenn sie daheim sitzen mußte. Bestraft für etwas, das gar nicht sie selbst verbrochen hatte, sondern Dorothea. Und es war ja nicht einmal ein Verbrechen gewesen, nur ein Baby. Aber danach hatte sich alles verändert. Es gab keine Zärtlichkeit mehr, nur noch Streit und Mißtrauen.

    »Darf ich am Sonntag weggehen, Papa? «

    »Mal sehen. «

    »Bitte, Papa. «

    »Mal sehen. «

    Die ganze Woche hingehalten. Und dann ein:

    »Wenn du mich grad’ so drängst, muß ich ja fast annehmen, du willst dich mit jemandem treffen. Mit wem denn? Mit so einem Bürschchen, was? Meinst du nicht auch, das wäre noch ein bißchen früh? «

    Alles war verboten. Und alles begann wichtig zu werden. Und alles durfte nur in Gedanken geschehen. Gedanken, die einen gehörigen Kitzel auslösten. Vielleicht kam Heiko Schramm einfach nur im richtigen Augenblick, in einem der wenigen Momente von absoluter Freiheit. Und er kam nicht einfach so. Zu Ed hatte sie immer nur gesagt, was auch in ihrem Tagebuch stand.

    »Ich habe ihn in einer Diskothek kennengelernt. «

    Das war die Wahrheit, gewissermaßen. Was da sonst noch gewesen war, hatte sie Ed nicht sagen mögen. Anfangs hatte sie gedacht, er würde sie auslachen. Und später, er würde einmal mehr behaupten, daß sie gegen diesen Mann keine Chance gehabt hätte, weil sie mit ihren sechzehn Jahren noch so viel Kind gewesen war. Ein kleines Mädchen, das an Geister glaubte. Und wie ein Geist aus dem Nebel war er neben ihr aufgetaucht, damals. In blau und violett wabernde, fluoreszierende Schwaden gehüllt und in die prasselnden Bässe. Sie liebte den Krach, weil er daheim verboten war wie alles andere, weil er den Kopf freidröhnte, weil er zittrig machte, ganz beschwipst und benommen, so daß man schwankte und ganz leicht davon wurde, ohne einen Tropfen getrunken zu haben. Deshalb stand sie immer so dicht bei den Lautsprechern, genau an der Stelle, an der auch der Nebel aufwallte. Und dann stand er neben ihr, ganz plötzlich und unwirklich. Zuerst roch sie ihn nur. Die großen Lautsprecher wirkten wie Schleifsteine, machten alle Sinne scharf, fast alle, den sechsten vermutlich nicht, aber die anderen. Es war der herbe Geruch von Leder und einem Rasierwasser, der so typisch für ihn war, der sie veranlaßte, sich zu ihm hinzudrehen. Er trug eine schwarze Lederjacke, ein schwarzes Hemd darunter, eine schwarze Hose dazu. Und sein Haar war
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