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Die Augen Rasputins

Die Augen Rasputins

Titel: Die Augen Rasputins
Autoren: Petra Hammesfahr
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gelernt und bis zur Hochzeit in diesem Beruf gearbeitet. Sie hatte schon als ganz junges Mädchen davon geträumt, kostbare Steine einzufassen. Smaragde, Rubine, Saphire, Brillanten, das Gold war ihr nie so wichtig gewesen, war für sie nur der Rahmen. Aber sie konnte damit umgehen, vielleicht besser als mancher, der den Meistertitel trug. Gesagt hatte sie nichts, jedenfalls nicht beim Frühstück. Möglich, daß Albert Retling sie kurzfristig um Hilfe gebeten hatte. Doch dann fiel ihm ein, daß Patrizia vor einigen Tagen beiläufig erwähnt hatte, die Retlings seien für zwei Wochen in das kleine Ferienhaus in der Eifel gefahren. Na, sie war wohl im Garten. Edmund Bracht beschloß, es später noch einmal zu versuchen. Er rief sich die vergangenen fünfzig Minuten ins Gedächtnis, machte seine Notizen, trank einen Kaffee dabei. Für den Nachmittag gab es drei Termine. Zwischen zweien davon griff er noch einmal zum Telefonhörer, wieder ohne Erfolg. Aber beunruhigt war er in keiner Weise. Obwohl es nicht der Regel entsprach, ging er davon aus, daß Patrizia seit dem Vormittag bei ihrem Vater war. Es bestand durchaus die Möglichkeit, daß Paul Großmann seine Jüngste zu sich gerufen hatte. Es ging ihm seit dem Tod seiner Frau vor acht Monaten nicht so besonders, ein paar Probleme mit dem Herzen, rein psychischer Natur. Aber davon wollte Paul Großmann natürlich nichts hören. Er wurde nicht fertig mit dem Alleinsein, steigerte sich in jede kleinere Attacke hinein, schrie immer gleich nach dem Notarzt und den Töchtern. Und wenn Dorothea nicht zu erreichen gewesen war, hatte eben Patrizia die Pflicht einer guten Tochter erfüllen müssen. Ziemlich genau um halb fünf verließ Edmund Bracht seine Praxis in der Nähe des Rudolfplatzes. Er hatte nicht noch einmal versucht, seine Frau telefonisch zu erreichen, hatte sich auch nicht bei seinem Schwiegervater nach ihr erkundigt. Wozu auch? Um sich das Klagelied eines vereinsamten Pensionärs anzuhören? Klagelieder hatte Edmund Bracht an diesem Tag schon genug gehört. Bis zu seinem Haus in Pulheim brauchte er ungefähr fünfzig Minuten. Er fuhr immer sehr gemächlich, selbst wenn die Straße vor ihm völlig frei lag, was jedoch an diesem Freitag nicht der Fall war. Die Fahrt nutzte er jedesmal, um völlig abzuschalten, um all das, was man ihm im Laufe des Tages erzählt und anvertraut hatte, auf eine Seite des Gehirns zu räumen, wo es bei Bedarf jederzeit wieder greifbar war, das Privatleben jedoch in keiner Weise belastete. Man mußte das strikt voneinander trennen, das war zu einem Lebensprinzip für ihn geworden, eine unumstößliche Regel. Als er daheim ankam, rechnete Edmund Bracht gewiß nicht damit, daß er an diesem Freitag im September zum erstenmal mit seiner Regel brechen und all das hervorkramen mußte, was er vor Jahren von und über Patrizia erfahren hatte. Und noch ein bißchen mehr als das. Was er mit ihr gemacht hatte. Zerrissen hatte er sie, das bißchen Ich, das Heiko Schramm von ihr übriggelassen hatte, auch noch zerbrochen und neu geformt. Es hatte sich gelohnt, er dachte trotzdem nicht gerne zurück.
    Sie war für ihn zu Beginn der Therapie eine Patientin gewesen. Noch dazu eine, gegen deren Behandlung sich alles in seinem Innern sträubte. Ein Kollege bat ihn darum, schilderte den Fall, nicht die Hintergründe, nur ihren Zustand.

    »Ich würde es selbst übernehmen, Ed, aber zeitlich… Und ich kenne auch die Familie recht gut. Es ist vielleicht besser, wenn jemand unvoreingenommen an die Sache herangeht. «

    Die Sache! Ein blutjunges, völlig apathisches Mädchen, mehr tot als lebendig. Die Tochter aus gutem Haus sozusagen, in geordneten Familienverhältnissen aufgewachsen, geliebt und behütet. Den Worten ihres Vaters zufolge war sie an einen Ganoven geraten, der noch niemals einer geregelten Arbeit nachgegangen war. Der seinen Lebensunterhalt mit kleinen Gaunereien finanzierte und daraus nicht einmal einen Hehl machte. Dem die Dummheit im Gesicht geschrieben stand. Und wer sie dort nicht ablesen konnte, der mußte nur zuhören, wenn Heiko Schramm den Mund aufmachte. Unter normalen Umständen hätte ein Mädchen wie Patrizia keine drei Worte mit solch einem Typ gewechselt. So jedenfalls drückte Paul Großmann es aus. Da Patrizia nicht ansprechbar war, mußte Ed ihren Vater zu einem Vorgespräch bitten. Und dabei erfuhr er kein Wort zuviel. Mit keiner Silbe erwähnte Paul Großmann, warum Schramm hinter Gittern saß. Er erwähnte die sieben
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