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Die Augen Rasputins

Die Augen Rasputins

Titel: Die Augen Rasputins
Autoren: Petra Hammesfahr
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Jahre, zu denen Schramm verurteilt worden war, sprach kurz von Rauschgifthandel, so daß sich für Ed zwangsläufig ein Zusammenhang ergeben mußte. Dann sprach er nur noch von seiner Tochter.
    Paul Großmann war zu der Zeit noch als Beamter in einem Bonner Ministerium tätig. Er hatte sich eigens beurlauben lassen, um seiner Jüngsten, für die nach Schramms Verurteilung die Welt untergegangen war, wieder auf die Füße zu helfen. Eine Aufgabe, mit der Patrizias Mutter überfordert war. Paul auch, wie er dann eingestehen mußte.

    »Zuerst war sie noch ganz normal «, sagte er,

    »ein bißchen schockiert natürlich, als sie erfuhr, daß er verhaftet worden war. Da war sie ein paar Tage lang ganz still und in sich gekehrt. Aber das gab sich dann wieder. Sie wollte unbedingt zu den Verhandlungen, das habe ich nicht zugelassen. Ich dachte, es wäre besser, wenn man sie von diesem Kerl fernhielte. Vielleicht war das ein Fehler. Was da so alles zur Sprache kam, wenn sie das von ihm selbst gehört hätte… «

    Den Rest ließ Paul Großmann offen. Er fuhr fort:

    »Zur Urteilsverkündung habe ich sie mitgenommen. Seitdem ist sie so. «

    Der Prozeß gegen Schramm lag bereits drei Monate zurück. Ebenso lange hatte die Familie Großmann sich ohne fremde Hilfe abgemüht, Patrizias Selbstzerfleischung ein Ende zu machen. Zweimal hatte sie Tabletten geschluckt, zum Glück nur harmloses Zeug, mit dem sie sich Übelkeit und Kopfschmerzen einhandelte, aber nicht den Tod. Seitdem war sie keine Sekunde mehr ohne Aufsicht. Nicht einmal nachts war sie allein, schlief zwischen Vater und Mutter im Ehebett. Und schon beim Frühstück begann der Kampf. Sie wechselten sich ab, Paul Großmann und seine Frau, manchmal auch die älteste Tochter Dorothea.

    »Ein Häppchen Toast, Patrizia, nur ein Häppchen. Und ein Schlückchen Kakao. «

    Sie sprach nicht mehr, bewegte sich kaum einmal aus eigenem Antrieb, gerade daß sie noch zur Toilette ging. Sie schien blind und taub zu sein, hatte sich völlig in sich selbst zurückgezogen. Paul Großmann vermutete bereits, daß sie unter Hypnose oder sonstigen Einflüssen stand.

    »Dieser Kerl hat sie völlig verhext. Vielleicht hat er ihr Drogen gegeben, ich weiß es nicht. Aufgefallen ist uns nie etwas. Nach seiner Verhaftung war ich mit ihr beim Arzt. Sie ist gründlich untersucht worden, gefunden hat man nichts. Aber irgend etwas muß er ihr schließlich gegeben haben, sonst wäre sie nicht in diesem Zustand. «

    Bis dahin hatte Ed ihm noch ruhig zugehört, dann schüttelte er den Kopf. Bei allem guten Willen! Ein junges Mädchen, das nicht sprach! Er war darauf angewiesen, daß seine Patienten den Mund aufmachten. Daß sie ihm ihre Nöte, Beschwerden, Probleme und Gefühle persönlich schilderten. Mit Spekulationen der Verwandtschaft war ihm nicht geholfen. Aber selbst wenn er sie zum Reden brachte, sie hatte bereits zweimal versucht, sich zu töten, es war in jeder Hinsicht ein Risiko. Und für sie war das Risiko entschieden größer. Unter Umständen, das erklärte er Paul Großmann auch, gelang es ihm, sie aus ihrer Lethargie zu reißen, und vielleicht versetzte er sie damit in die Lage, einen weiteren und diesmal erfolgreichen Selbstmordversuch zu unternehmen. Doch Paul Großmann wollte seine Tochter nicht einweisen lassen. Keine Klinik, auf gar keinen Fall!

    »Da machen sie sie mir doch ganz kaputt «, sagte er.

    »Da geben sie ihr Spritzen oder Tabletten, am Ende kommt noch so ein Idiot auf die Idee, ihr Elektroschocks zu verpassen, weil sie nicht reagiert. «

    Paul Großmann traute den Ärzten nicht viel zu, er traute niemandem viel zu und nahm immer zuerst einmal das Schlimmste an. Es hatte nicht viel Sinn, ihn vom Gegenteil überzeugen zu wollen. Eine Klinikeinweisung wäre nach Lage der Dinge das Beste gewesen, allein schon, um Patrizias körperliche Verfassung zu verbessern. Sie war auf knappe vierzig Kilo abgemagert, ihre Regel hatte ausgesetzt. Ihr Gesicht bestand nur noch aus Augen. Ihre Finger waren so dünn, daß Ed befürchtete, sie beim Händedruck zu zerbrechen. Er erklärte sich schließlich bereit, einen Versuch zu wagen. Sechs Stunden! Nicht mehr und nicht weniger. Wenn es ihm in dieser Zeit nicht gelang, wenigstens den Ansatz für eine Behandlung zu schaffen, mußte er jede weitere Verantwortung ablehnen, das wußte er. In den ersten fünfzig Minuten saß sie ihm gegenüber auf der Kante eines Sessels und starrte ihn an. Aber ihr Blick ging durch ihn hindurch,
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