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Die Augen Rasputins

Die Augen Rasputins

Titel: Die Augen Rasputins
Autoren: Petra Hammesfahr
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auch schwarz. Er stand da wie der leibhaftige schwarze Mann neben ihr. Der, vor dem es sie als kleines Kind immer so herrlich gegraust hatte, wenn Mama davon erzählte, wie er nachts durch die Straßen schlich und all die kleinen Mädchen mitnahm, die noch nicht im Bett lagen.

    »Und was tut der schwarze Mann mit den kleinen Mädchen? «

    Auf die Frage hatte sie nie eine Antwort bekommen. Und wenn Mama dann das Licht ausmachte und die Tür hinter sich zuzog, wenn es ganz dunkel wurde im Zimmer und der einzig sichere Platz auf der Welt unter der Bettdecke war, dann hatte sie ihn schleichen hören. Immer um das Haus herum. Manchmal war er auch in den Baum gestiegen, der so nahe bei ihrem Fenster stand, der später gefällt werden mußte aus irgendwelchen Gründen. Und von diesem Baum aus hatte er in ihr Zimmer geschaut, die ganze Nacht hindurch. Von ihm selbst war nie etwas zu sehen gewesen. Nur manchmal hörte sie das Rascheln der Blätter, wenn er sich bewegte, der schwarze Mann. Inzwischen wußte sie auch, was er mit den kleinen Mädchen tat, er vernaschte sie. Und dann stand er neben ihr im Lärm und im Nebel am Rand der Tanzfläche einer Diskothek. Er war nicht allein, da war noch ein anderer Mann bei ihm, etwas jünger als er und etwas ängstlich, wie es schien. Sie unterhielten sich. Und wenn er sprach, wurde der andere immer kleiner. Die Bässe hatten sie bereits weich gemacht, auch ein bißchen vorwitzig, sonst wäre sie niemals auf die Idee gekommen, ihm zuzuhören. Einfach war es nicht, sie mußte sich anstrengen, einen Großteil der Worte von seinen Lippen ablesen. Daß sie keinen Blick von seinem Gesicht ließ, fiel ihr gar nicht auf. Zuerst war es nur Neugier, auch ein leichtes Erschrecken, als sie begriff, worüber er sprach, über Stoff, erstklassigen Stoff und den Preis, den er dafür haben wollte. Dann kam noch etwas dazu, Faszination. Es war der Blick, mit dem er sie streifte. So viel Sicherheit darin, so viel Überlegenheit und ein winziges Lächeln. Er wirkte nicht etwa aufgebracht oder böse, als er bemerkte, wie aufmerksam sie seine Unterhaltung verfolgte, im Gegenteil, es schien ihn zu amüsieren. Warum auch nicht! Kleine Mädchen konnten ihm nicht gefährlich werden. Er wußte das. Dann verschwand er, zusammen mit dem jungen Mann in Richtung der Toiletten. Sie schaute ihm nach, bis er im Gewühl untertauchte, fühlte so etwas wie Enttäuschung. Aber nicht lange. Es dauerte nicht einmal zehn Minuten, da war er bereits wieder neben ihr. Allein, und diesmal sprach er mit ihr, lächelte dabei, ganz sanft, beinahe zärtlich.

    »Das ist aber gar nicht gesund, wenn man so neugierig ist. Jetzt stell dir nur mal vor, es hätte mir nicht gefallen. Was meinst du, was da so alles passieren könnte? «

    Sein Blick dabei verursachte einen Schauer auf ihrer Haut, fast ein Frieren, aber es war nicht unangenehm. Sie zuckte mit den Schultern gegen das aufkommende Herzklopfen an, schluckte tapfer den dicken Brocken hinunter, der ihre Kehle blockieren wollte, von dem sie nicht wußte, ob er aus Furcht bestand oder aus ganz etwas anderem. Und dabei empfand sie es zum erstenmal, dieses Zittern in ihrem Innern. Es war ein sonderbares Gefühl, machte ganz schwer, ganz lahm, so als ob sie nicht mehr lange auf ihren eigenen Beinen stehen könnte. Hinlegen, alles verlangte danach, sich einfach fallen zu lassen. Auf den Boden oder mitten hinein in seine Arme.
    Er rief der jungen Frau hinter dem Tresen zu:

    »Schick mal was rüber, Gerda! «

    Dann fragte er sie:

    »Du trinkst doch ein Glas mit mir, oder? Vielleicht hast du ja nicht alles verstanden eben. Ich meine, wenn du noch Fragen hast, frag nur. Und wenn nicht, können wir uns auch so ein bißchen unterhalten. «

    Als sie zögernd nickte, fragte er:

    »Mit oder ohne? «

    Sie wußte nicht, was er meinte. Er lachte, rief zu der Frau hinüber:

    »Einmal mit, einmal ohne. «

    Und etwas leiser, fast wie zu sich selbst:

    »Wir wollen doch keine Kinder besoffen machen. Wir wollen nur, daß sie zufrieden sind. Und glücklich, dafür tun wir eine Menge. Und da mögen wir es natürlich nicht, wenn sie einen falschen Eindruck bekommen. Wenn sie am Ende noch denken, man wäre ein Verbrecher. «

    Dann bezahlte er mit einem Hundertmarkschein. Sie riet mehr, als sie verstand, was er gesagt hatte, warf den Kopf in den Nacken, bewegte die Hüften zum Jaulen einer Baßgitarre, schnipste den Takt mit den Fingern. Das taube Gefühl in den Gliedern war wieder
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