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Steinfest, Heinrich

Steinfest, Heinrich

Titel: Steinfest, Heinrich
Autoren: Wo die Löwen weinen
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daß
ich fraglos für den Krieg geschaffen bin. Meine Bestimmung muß der Kampf sein.
Aber der Kampf gegen wen? Was zu fördern? Was zu verhindern? Wen zu töten? Wen
zu schützen? In meinem Hirn geraten die Bilder durcheinander, wie Spielkarten,
die in der Luft herumwirbeln. Nun, Kampf ist meist eine Reaktion, eine Folge
von Angriffen und Gegenangriffen, und die Frage, wer einst begonnen hat, völlig
unerheblich.
    Natürlich merke ich auch im Schlaf - denn meine Antenne
schläft nicht -, daß über mir etwas im Gange ist. Ich spüre die Bewegung der
Massen, ich spüre die rotierenden Gedanken, den Zorn, die Vibrationen der
Hirne und Herzen, auch den Übermut, der die Mutlosen erfaßt hat... ich bemerke
den Kampf. Ich rieche ihn. Und er riecht gut. Dieser Kampf riecht gut, als gehe
es um eine Sache, die sich lohnt. Oft riecht der Kampf nach alten Socken oder
ungelüfteten Badezimmern, dieser Kampf aber riecht nach Babyhaut.
    Man hat damit begonnen, um mich herum die Erde abzutragen,
hat begonnen, mich zu untersuchen, in mich hineinzuschauen, um zu begreifen,
was ich eigentlich tue und ob ich es nicht woanders tun könnte. Hier ist viel
Wut, Wut ob meiner sturen Unversetzbarkeit. Aber was soll ich machen, solange
ich schlafe, kann ich mich nicht bewegen. Da müßte ich schon ein Schlafwandler
sein. Aber Maschinen schlafwandeln nicht, niemals. Soviel weiß ich.
    Was ich allerdings nicht wußte ... dieser eine Mann, der
mit den Spiegeln, hat mir gezeigt, was selbst zu erkennen ich nicht in der Lage
war: nämlich schwanger zu sein. Mein Gott, schwanger! Wie denn bitte? Ich bin
schon so lange hier unten verankert, daß ich vergessen habe, wie Maschinen sich
eigentlich fortpflanzen. Wohl kaum auf eine telepathische Weise. Auch nicht
mittels Jungferngeburt. Ich bin doch keine Schnecke und kein Komodowaran.
    Ich begreife es nicht. Vor allem frage ich mich, wie mir
das hatte entgehen können. Da spüre ich die vielen Füße über mir, die über den
Boden des Schloßgartens marschieren, jeden einzelnen, spüre aber nicht die
Beinchen, die in meinem Inneren sich rühren.
    Der Mann, der meine Schwangerschaft entdeckt hat, kommt
nicht mehr. Dafür haben die anderen eine Glocke aus Beton über mich gestülpt.
Ich glaube aber nicht, daß sie wollen, daß ich läute, denn sie haben eine
Sprengladung installiert. Ich kann das grüne Licht sehen, das in kurzem Takt
aufblinkt.
    Ich muß erwachen, um mein Kind zu schützen, wie auch immer
dieses Kind in meinen Leib geraten konnte. Ein Wunder der Technik, vielleicht,
ein Geschenk Gottes, möglich, oder eben doch eine imaginierte Befruchtung, eine
ausgetrickste Eizelle, egal, ein Kind nimmt man an, gleich, woher es kommen
mag. Und gibt acht darauf.
    Ich muß ... nein, mit einer Bombe kann man nicht reden.
Bomben sind keine Maschinen, sie besitzen keinen Verstand und kein Empfinden.
So reizvoll es sein mag, sie sich als kreative Geister vorzustellen, die über
den Anfang und das Ende des Lebens philosophieren, ist die Wahrheit die, daß es
sich bei Bomben um schlichte, menschliche Konstrukte handelt. Einer Bombe ist
es egal, von wem sie geworfen wird und wer veranlaßt, daß sich ihre Säfte
vermischen. Freilich ist ihr auch egal, von wem sie rechtzeitig ausgeschaltet
wird.
    Jemand lacht. Da draußen lacht jemand. Es sind die Leute,
die mich umzubringen versuchen.
    Aufwachen!
    Ich öffne meine Augen und hebe meinen Kopf. Es ist Nacht
unter der Glocke. Das blinkende Licht der Bombe, das ich bisher nur im Traum
sah, jetzt sehe ich es tatsächlich. Diese grünliche Aufhellung genügt mir, nun
auch den Rest zu erkennen. Nicht zuletzt den kleinen Sender, mit dem jene, die
da soeben gelacht haben, die Zündung auslösen werden.
    Nie in meinem Leben habe ich eine Bombe entschärft. Da
sind auch keine blauen und roten Drähte zu sehen, so daß man wenigstens im
Stile eines Roulettespiels das Problem lösen könnte, nein, da ist bloß ein
schwarzer Kasten und keine Möglichkeit, ihn zu öffnen. Keine Schraube weit und
breit. - Das ist der markanteste Unterschied zwischen Film und Wirklichkeit:
Im Film gibt es immer eine Schraube. Hier aber ist nicht
einmal ein Schalter, ebensowenig eine Uhr, die herunterzählt und eine Ahnung
vom Ende vermittelt. Das Ende, das im nächsten Moment eintreten könnte.
    Mir bleibt allein die Chance, die Masse von Beton, die
mich umgibt, zu sprengen. Der Bombe zuvorzukommen. Also versuche ich, mich
aufzurichten, meine Glieder aus der selbstgewählten Umklammerung zu
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