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Steinfest, Heinrich

Steinfest, Heinrich

Titel: Steinfest, Heinrich
Autoren: Wo die Löwen weinen
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aber ist mit den
anderen? Wie muß man sich denken, daß diese Leute sich Gott vorstellen? Blind
und taub und stumm und einbeinig? Biegbar wie ein Gesetz? Umgehbar wie eine
Verordnung? Manipulierbar wie eine Volksvertretung?
    Sie müßten es eigentlich besser wissen. Sie müßten wissen,
daß Gott nicht auf einer fernen Wolke schwebt, sondern tief in einem jeden
Herzen nistet. In Anlehnung an diesen Roman könnte man sagen, jeder trägt eine
kleine Maschine in sich, die alles sieht und alles hört und alles riecht. Einen
unbeugsamen Rechner, der jeden Augenblick festhält und der mit jener Präzision,
die den Maschinen nun mal eigen ist, ein wahrhaftiges Bild zeichnet. Solche
Maschinen erlauben keine trickreichen Interventionen, mit denen im nachhinein aus
einem Würfel eine Kugel wird (so wie etwa in der S-21-"Schlichtung"
ein Euro in eine D-Mark verwandelt wurde), um auf diese Weise Dinge ins Lot
geraten zu lassen, die noch in tausend Jahren schief sein werden. Denn solche
imaginären Lotebenen funktionieren allein in einer Welt der Finten und der
Rhetorik. Die Maschine in unserem Herzen hingegen läßt sich davon nicht
beeindrucken. Sie ist kein Schlichter, der ja auch nur im Sumpf der Finten und
der Rhetorik groß geworden ist. Die Maschine würde nicht auf die Idee kommen,
einen Fehler fortzusetzen, einen Betrug zu Ende zu führen, die Erlaubnis zu
geben, weiter auf einen Körper einzutreten, nur weil schon einmal damit begonnen
wurde. Nur weil schon mal Geld geflossen ist. Geld fließt ja immer, das ist die
Natur des Geldes. Manchmal fließt das Geld so schnell, daß man es für Protonen
halten könnte, die in einem Teilchenbeschleuniger kollidieren und solcherart
nagelneue, winzig kleine Universen schaffen. Manche sind süchtig nach diesen
Universen, dabei haben wir ja schon eines. Das sollte uns eigentlich reichen.
    Ich denke, daß Gott - vielleicht stumm, vielleicht
einbeinig, aber mitnichten taub und blind - das Geld in die Welt gebracht hat,
um uns zu prüfen. Nicht, weil Geld per se schlecht ist. Er sieht uns bloß zu,
was wir damit machen. Ob wir etwa weiter auf einen geschundenen Körper
eintreten, nur damit das Geld fortgesetzt fließen kann. - Nun, das war die
religiöse Abteilung.
     
    Vor kurzem lernte ich einen Außerirdischen kennen. Mir
passiert so was hin und wieder. Er behauptete auf eine durchaus glaubwürdige
und gelehrte Weise, er wäre das letzte Mal mit seinem Raumvehikel vor etwa
dreißig Jahren in Stuttgart gewesen und jetzt doch äußerst erstaunt ob einiger
Neuerungen. Nicht, was die Stadt an sich betreffe, nicht die Technik (von der
massenhaften Benutzung märklinhaft kleiner Handtaschentelefone einmal
abgesehen), sondern wie sehr sich das Erscheinungsbild derer geändert habe, die
dem Staatsapparat kritisch gegenüberstehen, ja die der Staatsapparat wiederum
als Staatsfeinde einstufe. Der Außerirdische sagte es unverblümt: "Sapperlot,
das sind ja lauter Konservative!" Und in der Tat muß es vom Standpunkt
dieses Stuttgartbesuchers merkwürdig aussehen, daß jene, die da auf die Straße
gehen, um zu demonstrieren, dies tun, um den Denkmalschutz zu verteidigen (!),
um einen historischen Park zu schützen, um an die Verantwortlichen zu
appellieren, das Geld nicht zum Fenster hinauszuwerfen, sondern es in einer
vernünftigen Weise zu investieren: sprich, kaufmännisch zu handeln. Der
Staatsfeind in diesen Stuttgarter Tagen verfügt, bei aller Leidenschaft für
alte Bäume, vor allem über die Seele eines Buchhalters, der es mit den Zahlen
genau nimmt und die Deklaration einer Ware auch überprüft, sich also nicht
damit zufriedengibt, daß auf einem Paket "Weihnachtsdekoration für
Stuttgart" steht. Nein, der Buchhalter schaut nach und moniert sodann,
statt der weihnachtlichen Girlanden eine Ladung hochbrisanten Sprengstoffs
entdeckt zu haben. - Der Außerirdische verstand die Welt nicht mehr. Ich hätte
ihm gerne erzählt, daß ich diesem "Wandel" soeben einen Roman
gewidmet habe, ließ es dann aber bleiben. Vielleicht um einigen Fragen
auszuweichen, etwa der nach Hans Tobik. Immerhin greift Tobik zur Waffe, um in
der Folge dem Bild des Staatsfeindes doch noch eine adäquate, eine traditionelle
Gestalt zu verleihen. Allerdings allein, was den Griff zur Waffe betrifft. Als
Person und Persönlichkeit verbleibt Tobik im Rahmen des wertkonservativen
Bürgers, wird weder zum charismatischen Sozialrevolutionär noch zum
abenteuerlichen Haudegen.
    Ich habe diesen Mann nach und nach wirklich
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