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Steinfest, Heinrich

Steinfest, Heinrich

Titel: Steinfest, Heinrich
Autoren: Wo die Löwen weinen
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auf
mindestens sechs verschiedene Weisen aussprechen konnte. Solche Orte waren
schon wegen ihrer phonetischen Vielfalt verschwommen. Suchte man im Internet
nach ihnen, stellte man fest, daß sie auf insgesamt drei Kontinenten zu finden
waren. Und gab man die Koordinaten bei Google Earth ein, fand man sich
plötzlich mitten auf einem leeren Ozean wieder. Solche Orte waren das.
    In jedem Fall war die Familie Uhl nun in Sicherheit.
    Und Kingsley vollendete, was sie begonnen hatte. Sie
drückte den Abzug und schickte eine Kugel auf den Weg, eine Kugel, die am Ende
einer parabolischen Flugbahn einen massiven Punkt setzte. - Fabian fiel um.
    ... und wer steht, daß er nicht falle!
    Sechzig Meter über ihnen hielt sich ein gewisser Wolf Mach
mit größter Souveränität an diese Beherzigung Goethes. Fabian hingegen knallte
flach auf den Boden auf, atmete noch einmal ein und noch einmal aus und gab
dann endlich Frieden.
    Währenddessen kam Rosenblüt herbeigeflogen, die Waffe so
haltend, daß er höchstens eine Stelle des Betonsarkophags hätte treffen
können, mit dem die schlafende Maschine ummantelt worden war. Sein Körper
allerdings segelte auf Kingsley zu. Und noch während Rosenblüt segelte, dachte
er: In meinem Alter sollte man nicht fliegen.
    Stimmt! Mit einer so automatischen wie routinierten
Bewegung änderte Kingsley ihre Haltung, verdrehte den Oberkörper, beugte sich
vor und ließ Rosenblüt über ihre Schulter rutschen, die sie in der Art eines
Katapults funktionieren ließ. Solcherart verlängerte sich Rosenblüts Flug. Es
kam ihm ewig vor. Genügend Zeit, um das Projektil, das er unwillentlich
losgefeuert hatte, zu beobachten: wie es ihm vorauseilte, knapp den
Betonmantel verfehlte und in die dahinterliegende Wand einschlug. Auch Zeit
genug, den Herrn Professor Doktor Gotthard Fabian am Boden liegend zu
betrachten, die Öffnung zwischen dessen Augen, das rote Loch, das in Null Komma
nix ein ganzes Leben verschluckt hatte. Nicht zuletzt Zeit genug, den eigenen
Aufprall in allen Einzelheiten zu erleben. Die rapide eintretende Erkenntnis,
daß er ja nicht nur kein Meister im Fliegen war,
sondern auch logischerweise keiner im Landen. Dementsprechend
unsanft kam er auf der harten Fläche auf, konnte zwar noch rechtzeitig den Kopf
zur Seite drehen, krachte aber ungebremst auf die eigene Flanke, anstatt etwa
abzurollen und aus der Rolle wieder in den Stand zu gelangen, wie das jemand
vom Format Kingsleys praktiziert hätte.
    Aber Rosenblüt war eben keine junge sportliche Frau, trug
auch keine dieser eleganten, elastischen
Navy-wool-blend-pantsuit-with-raspberry-check-Kampfkleidungen von Jil Sander,
sondern einen völlig unmagischen Herrenanzug, der den Fall in keiner Weise
dämpfte. Ein Schmerz erfüllte seinen rechten Arm und seine rechte Schulter. Er
stöhnte auf. Ein Elefantenstöhnen.
    Bevor Rosenblüt noch dazu kam, irgend etwas anderes außer
diesem Gestöhne beizutragen, stand Kingsley auf seiner Höhe und kickte mit dem
Fuß seine Dienstwaffe zur Seite.
    "Wer sind Sie?" fragte Kingsley. "Fabians
Leibwächter ja wohl kaum, sonst hätten Sie sich anders angestellt."
    "Ich bin hier nur der Kommissar", erklärte
Rosenblüt seine Ungeschicklichkeit. Dann nannte er seinen Namen und bekundete,
Fabian beschattet zu haben. Wegen der Sache mit Uhl.
    "Ach was?" gab sich Kingsley erstaunt. "Und
Sie hatten also vor, ihn zu verhaften?"
    "So weit war ich noch nicht."
    "So weit wären Sie auch nicht gekommen. Die Fabians
dieser Welt landen nicht im Gefängnis."
    "Manchmal schon."
    "Der Mann war achtzig. Wie lange hatten Sie noch vor,
ihn zu beschatten?"
    "Ich hatte gerade erst angefangen."
    "Na, jedenfalls kommen Sie zu spät", stellte
Kingsley fest. "Nicht nur zu spät, sondern auch noch im schlechtesten
aller Momente. Toll! Was mache ich jetzt mit Ihnen?"
    "Erschießen wäre eine dumme Lösung", bemerkte
Rosenblüt mit einer Trockenheit, die ihm einige Mühe bereitete.
    "Versprechen Sie mir denn, mich nicht zu verraten?"
    "Würde es Sie glücklich machen, wenn ich so was
verspreche?"
    "Na, ersparen wir uns das", sagte sie, überlegte
kurz und meinte dann: "Die Vernunft würde gebieten, Ihnen ebenfalls eine
Kugel in den Kopf zu jagen. Aber die Vernunft würde auch gebieten, gar nicht an
diesem Ort zu sein. Lasse ich Sie am Leben, so folgt auf einen Fehler halt ein
zweiter. Was soll's?"
    Alicia Kingsley zog ein kleines Etwas aus ihrer Tasche und
warf es vor Rosenblüt auf den Boden, drehte sich um und ging. Sie
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