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Steinfest, Heinrich

Steinfest, Heinrich

Titel: Steinfest, Heinrich
Autoren: Wo die Löwen weinen
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eine Gestalt zu geben. Den Leuten, die ständig nur von der Wahrheit
quasseln, fehlt bloß die Fähigkeit, schöpferisch einzugreifen. Für einen
gestaltenden Menschen zählt nicht die Wahrheit, sondern die Wirklichkeit. Wenn
auf dem Tisch ein Stein liegt und ich finde, daß er da nicht hinpaßt, dann
werde ich den Stein wegnehmen.
    Und wenn er sich nicht entfernen läßt, der Stein, hirnlos,
aber bockig, werde ich ein Verfahren entwickeln, um ihn zu entfernen. Der Zweck
der Natur ist es, sie zu verbiegen - in unserem Sinn. Das ist es, was zählt,
und nicht ein philosophisches Gejammer über die Bedeutung des Steins auf diesem
Tisch. Er hat nämlich nichts zu bedeuten, er liegt nur an der falschen Stelle.
Er ist ein Ärgernis, das zu beheben wäre."
    "Und Uhl war also auch ein Ärgernis", schloß
Kingsley.
    "Das war er. Wir haben ihm geholfen, das einzusehen.
Über die Art und Weise kann man eigentlich nicht streiten. Man kann einen
Schmerz nicht erahnen, man muß ihn fühlen, damit er auch wirkt. Und er hat ja
gewirkt. Um so mehr habe ich mich allerdings gewundert, als Uhl heute anrief,
um mich zu treffen. Ausgerechnet hier unten. Gut, es war wohl ein Fehler, ihm
zu trauen. Statt selbst zu kommen, schickt er Sie."
    "Er weiß nicht, daß ich hier bin. Er hat getan, worum
ich ihn gebeten habe. Er hat Sie angerufen. Danach ist er abgereist",
sagte Kingsley. Sie machte eine kleine Pause, dann erklärte sie: "Sie
wollen doch sicher wissen, wer ich bin, oder?"
    Man konnte geradezu Fabians Schulterzucken hören, als er
nun sagte: "Nicht unbedingt."
    Kingsley zuckte nicht minder hörbar zurück und offenbarte:
"Wie Sie bereits richtig bemerkten, muß man einen Schmerz schon spüren.
Mein Name ist zwar Kingsley, aber mein Vater heißt Uhl. Ja, ich bin seine
Tochter."
    "Aber nicht doch!"
    "Aber schon! Und was ich vor allem bin, ist die
Schwester des Jungen, den Sie in solche Angst haben versetzen lassen, nur um
seinen Vater zu disziplinieren."
    "Tja", sagte Fabian und klatschte in die Hände, "und
jetzt wissen Sie, wie der Mann aussieht, den Sie für ein Ungeheuer halten. Noch
was, junge Frau?"
    "Man sollte eine Frau nie junge Frau' nennen. Ganz
unklug!" erklärte Kingsley ungerührt.
    "Das lassen Sie mal meine Sache sein, was ich für
unklug zu halten habe und was nicht."
    Worauf Kingsley á la Mach erwiderte: "Gut, ich sehe
schon, Sie möchten dumm sterben."
    "Wie soll ich das jetzt verstehen?" fragte
Fabian. "So, wie ich es sage", antwortete die Frau, die ganz sicher
keine junge Frau war.
    "Raus hier! Sie schwindeln doch sowieso. Uhl hatte
nie eine Tochter."
    "Keine, von der Sie wissen durften. Das Resultat
einer Affäre vor mehr als dreißig Jahren, ein Resultat, das Uhl unangenehm war.
Bis heute hat er verhindert, daß jemand davon erfährt. Als würden wir im
neunzehnten Jahrhundert leben. Aber jemand, der bei den Adiuncten zum Mann
wurde, lebt natürlich die Maßstäbe einer gestrigen Zeit."
    "Reden Sie nicht über Epochen, die Sie nicht
begriffen haben."
    "Gut, zumindest mein Vater scheint einiges begriffen
zu haben. Er liebt seinen Sohn."
    "Ha! Sicher um einiges mehr als seine mißratene
Tochter", spottete Fabian.
    "Das stimmt, da haben Sie absolut recht. Vielleicht
macht mich das so ungnädig gegen die Welt. Und so ungnädig gegen Leute wie Sie,
Fabian. Wäre ich ein besserer Mensch, dann würde ich Sie nun fragen, ob Sie
noch einmal beten möchten, ob Sie Gott für all die Schweinereien in Ihrem
Leben um Verzeihung bitten wollen. Aber ich frage Sie nicht."
    Man vernahm ein Geräusch. Nicht das Klicken einer Waffe,
die entsichert wird. Denn die Pistole, die hier gezogen wurde, war bereits
entsichert. Eher war es das Geräusch eines sich öffnenden Zippverschlusses und
sodann die Reibung zwischen Metall und Baumwolle, man könnte auch sagen: die
Reibung zwischen zwei Edelmarken, dem Waffenlabel Walther und dem Modelabel Jil
Sander.
    Fabian entfuhr ein: "Was soll...?" Was aber
nicht nach zwei Worten und drei Punkten und einem Fragezeichen klang, sondern
so, als müßte er eine Erkenntnis hochwürgen, die einfach viel zu groß für ihn
war. Einen ganzen Rindskopf.
    Und wie reagierte Kommissar Rosenblüt?
    Nun, sowenig Rosenblüt sehen konnte, was gerade ablief,
begriff er dennoch die Tragweite. Augenblicklich löste er sich aus dem steinernen
Block des Schattens, griff nach seiner Waffe, drängte nach vorne und stürzte
zwischen den Lamellen hindurch in den Raum.
    In diesem Moment handelte die Frau, die Alicia
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