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Steinfest, Heinrich

Steinfest, Heinrich

Titel: Steinfest, Heinrich
Autoren: Wo die Löwen weinen
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gibt es keinen vernünftigen Grund. Das
ist überhaupt nicht logisch. Wieso ist das da?
    Nochmals Sigourney Weaver im selben Film, konfrontiert mit
einer zwar funktionslosen, jedoch mit lebensgefährlichen Elementen
ausgestatteten Tunnelröhre
     
    Der Autor, der diese Folge geschrieben hat, sollte selbst
da durch. Abermals Sigourney Weaver nach der aufreibenden
Überwindung jener Röhre
     
    Tränen
     
    Ein erster warmer Strahl traf sein Gesicht. Ihm kam vor,
als tippe ein Geist ihm gegen die Stirn, nicht unfreundlich, nicht aggressiv,
sondern in der Weise, mit der man ein Aschenkreuz auf die Stirn gemalt bekommt.
Gewiß, die Fastenzeit war längst vorbei, der Juni ging zu Ende, und ein
heftiger Sommer - eine Entzündung von Sommer, eine lepröse Hitze - bestimmte das
Leben der Stadt. Doch anstatt sich zu verstecken, strömten die Leute nach
draußen, freilich wenige so früh wie er. Er liebte die Zeit der
Morgendämmerung, wenn das Licht im Zweifel war und die Welt menschenleer.
    Er war mit seinen fünfzehn Jahren ein wenig ein
Misanthrop, aber keiner von der schlimmen Sorte. In seinem Köpfchen spukten
keinerlei Gewaltphantasien, er war kein Außenseiter, kein Waffenfreak, er war
bloß von schwächlicher Statur. Der Umstand einer frühen Geburt hatte sich über
die ganze Zeit erhalten, nicht nur körperlich, auch geistig. Allerdings war er
kein Depperl, sondern ein guter Schüler und höchst talentierter Schachspieler.
Trotzdem - er empfand so vieles in seinem Leben als eine Verspätung. Und als
einen Ausdruck falscher Verortung. Im Brutkasten statt im Bauch zu sein. Wenn
er seine Mutter sah, ihre energische, vitale Art, mit der sie alles und jeden
organisierte, dann wurde er das Gefühl nicht los, sie habe ihn mit Absicht so
früh in die Welt entlassen, um eben diesen Bauch loszuwerden, diese Behinderung
beim Organisieren. Natürlich ließ er seine Mutter dies nicht fühlen und glaubte
auch gar nicht, diese gänzlich fremde "liebe Frau" aus der Fassung
bringen zu können. Er war der Sohn, sie die Mutter, mehr war da nicht zu sagen.
    In erster Linie kam er so früh an die Isar, um Sport zu
treiben. Nicht, daß er ein großer Freund der Körperertüchtigung war, aber er erkannte
angesichts seiner knöchernen Gestalt die Notwendigkeit, Muskeln auszubilden,
wenn die Muskeln schon nicht von selbst kamen. Er verhielt sich in dieser
Hinsicht durchaus pragmatisch. Er war zu klein, und er war zu dünn. Ersteres
mußte er dem lieben Gott überlassen, zweiteres konnte er selbst in die Hand
nehmen. Und tat es eben, verzichtete jedoch auf eins dieser Studios in der Art
von Hamsterställen. Da war es ihm lieber, seinen Wecker auf halb fünf zu
stellen, in den Trainingsanzug zu schlüpfen und über die Brücke und hinunter
zum Fluß zu laufen, den er bei sich immer nur das "Tiroler Wasser"
nannte.
    Er fühlte sich auf eine irrationale Weise mit dem
österreichischen Ursprung der Isar verbunden, als sei dort die Welt besser.
Kein Wunder, daß ihm der Ausdruck "heiliges Land Tirol" gefiel.
Allerdings war er noch nie in diesem heiligen Land gewesen. Er dachte manchmal,
daß er dorthin zum Sterben gehen würde. Vielleicht stand Tirol für den
Mutterbauch, den er zu früh hatte verlassen müssen.
    Vor dem Sterben aber ist das Leben und sind die
Liegestütze. Er kniete sich auf den noch kühlen, feuchten Boden, atmete
mehrmals kräftig durch und ging dann in Parallelposition zur Erde. Zehn Stück,
saubere zehn Stück, das mußte er hinbekommen. Bei jedem Abwärtstauchen küßte
er das Gras, verharrte einen Moment im Kuß und im Anhalten der Luft, bevor er
sich kräftig ausatmend nach oben stieß. Ein Schmerz zog sich durch seine Arme.
Jener Schmerz, der Muskeln produzierte. Also war es gut so.
    Was nicht so gut war, war der plötzliche Druck auf seinen
Schulterblättern. Seine Arme knickten ein, und sein Gesicht tauchte ins Gras.
Zum Küssen kam er nicht mehr, statt dessen schmeckte er die Erde. Da unten war
es noch tiefe Nacht. Einen Moment dachte er, etwas in der Art eines plötzlichen
Herztodes hätte ihn ereilt als Strafe dafür, dümmliche Gymnastik zu betreiben.
Aber er lebte. Jemand nannte ihn schwul. Jemand
befahl ihm, sich umzudrehen. Er drehte sich um. Über ihm waren mehrere
Gesichter, zinnoberrot im Licht der über München aufgegangenen Sonne.
    Das war jetzt der Moment, da er sich wünschte, viel früher
in seinem Leben mit dem Krafttraining begonnen zu haben. Wobei sehr fraglich
war, ob eine noch so intensive
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