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Steinfest, Heinrich

Steinfest, Heinrich

Titel: Steinfest, Heinrich
Autoren: Wo die Löwen weinen
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deutliche."
    "Von was reden Sie da?"
    Rosenblüt entschied sich für die spekulativ-direkte Weise,
indem er sagte: "Sie haben einen Anruf erhalten. Man hat Ihnen gesagt, was
mit Ihrem Sohn geschehen ist."
    "Nein, Ihre Kollegen haben Martin hergebracht, ohne
uns vorzuwarnen."
    "Ich rede nicht von meinen Kollegen. Ich rede von den
Leuten, die Ihnen erklärt haben, daß Ihrem Sohn beim nächsten Mal mehr passieren
könnte, als nackt am Fluß zu stehen und sich zu schämen."
    "Wie können Sie ...?" Uhl riß sich zusammen. Er
klemmte seine Zungenspitze zwischen die Lippen, als versuche er, sie zu häuten.
Für einen Moment machte er einen geisteskranken Eindruck. Und in der Tat, sein
Verstand war gefährdet. Die Angst ums eigene Kind läßt niemanden gesund
bleiben.
    Er mühte sich mit seiner Stimme ab, als er jetzt Rosenblüt
fragte: "Wie kommen Sie auf einen solchen Unsinn? Denken Sie, ich werde
erpreßt? Meine Güte, wir wohnen ganz hübsch. Aber wir sind keine Unternehmer,
keine Millionäre."
    "Es gibt viele Gründe, erpreßt zu werden",
befand Rosenblüt, der ja bereits wußte, der richtigen Spur zu folgen.
    Uhl tat einsichtig und gestand spöttisch ein
Liebesverhältnis zu einer türkischen Studentin. Er bemerkte: "Die hat
natürlich ein paar Brüder, die jetzt für Ordnung sorgen wollen?"
    "Das ist sicher eine Möglichkeit von vielen",
antwortete Rosenblüt. "Aber mich interessiert nur die eine relevante."
    Uhl schwieg. Schließlich sagte er: "Auch wenn Ihnen
das nun verdächtig vorkommen mag, ich brauche einen Schluck Alkohol."
    "Bringen Sie mir einen mit", bat Rosenblüt.
    Nun, es war zwar Vormittag, und angeblich tranken
Polizisten nicht im Dienst. Doch Rosenblüt hatte vor einem Jahr mit dem Sport
aufgehört und mit dem Trinken angefangen. Ohne zu übertreiben, weil er ja auch
beim Sport nicht übertrieben hatte. Ein Schluck hin und wieder tat ihm gut. Wo
früher zwanzig Sit-ups gewesen waren, war jetzt ein Glas Wein. Seinem Rücken
ging es seither bedeutend besser.
    Uhl schenkte Rotwein in zwei Gläser, reichte eines
Rosenblüt. Nicht, daß sie miteinander anstießen, aber sie nickten sich zu, ihre
Gläser nickten sich zu. Eine kleine Stille benetzte den Raum, wie Regen, der
in der Luft stehenbleibt. Uhl ergriff als erster das Wort. Er sagte: "Selbst
wenn Ihr Verdacht stimmt, und er stimmt nicht, dann wäre
es doch sicher so, daß ich eindringlich davor gewarnt worden wäre, die Polizei
zu informieren. Bedenken Sie: Mein Sohn ist gesund und in Sicherheit. Warum
sollte ich riskieren, daß sich daran etwas ändert? Nur, um Ihnen den Gefallen
zu tun, vor Ihren Vorgesetzten als cleverer Ermittler dazustehen?"
    "Sicher, da wären Sie schön blöd. Nein, wenn schon
ein Gefallen, dann natürlich einer, den Sie sich selbst tun. Denn das Problem
ist, daß der tiefere Sinn der Polizeiarbeit darin besteht, Recht auch dort zu
schaffen, wo dies gar nicht erwünscht ist. Es kümmert die Polizei nicht, wenn
Opfer und Täter sich einig geworden sind. Die Polizei mischt sich ein, ob das
gewollt ist oder nicht. Daran führt kein Weg vorbei. Aber Sie, Herr Professor,
können die Sache steuern."
    "Indem ich mich Ihnen anvertraue? Was bedeuten würde,
daß Ihre Vorgesetzten recht hatten, auf diese dümmliche Schwabenkarte zu
setzen."
    "Stimmt. Das wäre der negative Aspekt."
    "Und der positive?"
    "Ich bin ja nicht nur Schwabe, sondern auch ganz
allein gekommen. Womit ich sagen will: Es ist ein Unterschied, ob ein
versammelter Haufen von Polizisten hier herumtappt oder ein einzelner Mann mit
aller Diskretion und Vorsicht und Fürsorge den Fall behandelt."
    "Noch einmal: Für welche Abteilung arbeiten Sie?"
    "Wie in Stuttgart. Mord."
    "Niemand wurde ermordet."
    "Und das soll so bleiben. Meistens kommt die Polizei
zu spät, das ist ihr Schicksal, vor allem im Fall von Tötungsdelikten. Wo ich
hinfahre, sehe ich Tote. Es hat etwas für sich, daß es diesmal anders ist."
    "Es könnte ein böses Omen sein, daß Sie hier sind."
    "Es könnte ein gutes sein", erwiderte Rosenblüt.
"Einmal einen Fall zu übernehmen, wenn es noch nicht zu spät
ist."
    Uhl schenkte nach. Es war ein guter Wein, wobei Rosenblüt
Trinker genug war, um zu erkennen, daß in manchem guten Wein ein mickriger
Geist steckte, ein Spießer, ein Angeber, ein Ignorant.
    Uhl überlegte. Man sah ihm an, wie sehr er sich quälte.
Sein kahler, kantiger Schädel offenbarte einen rötlichen Glanz mit welligen
Streifen von kaltem Grün. - Das kommt nämlich vor, daß Menschen
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