Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Steinbrück - Die Biografie

Steinbrück - Die Biografie

Titel: Steinbrück - Die Biografie
Autoren: Daniel Goffart
Vom Netzwerk:
war mit Bedacht gewählt: So wie Gott im biblischen Buch Mose Schwefel und Feuer auf Sodom und Gomorrha regnen ließ, um die beiden Orte zu vernichten, so bombardierte die Royal Air Force im Juli 1943 die alte Hafenstadt an der Elbe mit Zehntausenden Luftminen und Brandbomben. Nach fünf Angriffswellen in der Nacht und zweien am Tag mit mehr als 700 Flugzeugen waren weite Teile des alten Stadtbilds für immer ausgelöscht. Fast 35 000 Menschen fanden in dem Inferno den Tod, über 125 000 wurden verletzt, viele lebensgefährlich. Der Historiker Malte Thießen schrieb später in einer Studie zum Gedenken an die »Operation Gomorrha«, die Juli-Angriffe seien wegen der bis heute sichtbaren Zerstörungskraft »als kollektiver Fixpunkt im städtischen Gedächtnis verankert« geblieben.
    Als Peer Steinbrück am 10. Januar 1947 in Hamburg geboren wird, prägen die Verheerungen des Zweiten Weltkriegs noch überall das Gesicht der Stadt. Ganze Straßenzüge bestehen nur aus hohlen, verbrannten Fassadenresten, in denen die verkohlten, scheibenlosen Fensterlöcher wie blicklose Totenaugen in den Skeletten der ausgebrannten Häuser wirken. Zehntausende Hamburger sind in diesem bitterkalten zweiten Nachkriegswinter noch wohnungslos, trotz der Zwangseinweisungen in unzerstörten Wohnraum und trotz zahlreicher Notunterkünfte. Auch funktioniert die Verteilung von Lebensmitteln an die hungernde und frierende Bevölkerung alles andere als reibungslos.
    In die anfängliche Erleichterung der Bevölkerung über das Ende des Krieges mischt sich deshalb mit fortschreitender Zeit die wachsende Sorge um die eigene Zukunft. Die berühmte »Stunde null« hat für Millionen Menschen in der schmerzlichen Erkenntnis bestanden, ohne Wohnung, Arbeit und ausreichende Nahrung wieder ganz von vorne beginnen zu müssen, oft genug begleitet von der Trauer über den Verlust enger Angehöriger durch den Krieg. Es ist eine schwere Zeit, in die Peer Steinbrück Anfang 1947 als typisches Nachkriegskind hineingeboren wird.
    Sein Großvater Wilhelm Schaper, ein hanseatisch korrekter Tabakhändler, hatte wie so viele seiner Mitbürger in den Bombennächten von 1943 alles verloren. Geschäft und Lager des Kaufmanns in der Hamburger Hermannstraße 13, in der Nähe des Rathauses, waren ausgebrannt, seine ganze Existenz mit einem Schlag vernichtet.
    Dennoch hatte die Familie Steinbrück schier unglaubliches Glück: Denn mitten in den Trümmern ihres gutbürgerlichen Wohnviertels Hamburg-Uhlenhorst ragte am Schrötteringksweg eine Reihe von mehreren Gebäuden unzerstört aus dem Ruinenfeld heraus – darunter auch das Haus der Steinbrücks mit der Nummer 5.
    Wenn man Peer Steinbrück heute danach fragt, was ihm aus seiner frühesten Kindheit in Erinnerung geblieben ist, dann nennt er als Erstes die Zerstörungen in der unmittelbaren Nachbarschaft sowie in der ganzen Stadt. Er hat die Bilder dieser Ruinenlandschaft immer noch vor Augen, sie haben sich unauslöschlich in sein Gedächtnis eingebrannt. Betrachtet man die alten Schwarz-Weiß-Fotos aus dieser Zeit und studiert vor allem die Luftaufnahmen der völlig zerbombten Stadt, bekommt man eine leise Ahnung von dem Ausmaß der Katastrophe und von den schlimmen Zuständen, die damals geherrscht haben. Das alles muss für diejenigen, die das tagelange Bombardement mit knapper Not überlebten, auch Jahre später noch eine bedrückende und trostlose Situation gewesen sein.
    Steinbrück spricht nicht besonders gerne über diese Zeit. Die schwierigen Lebensumstände unmittelbar nach dem Krieg haben wohl auf das Kind abgefärbt. Er hat oft ein gewisses Unwohlsein gespürt und sogar Angst empfunden, wenn er durch die leeren Straßen zur Schule ging, auch das ist ihm in Erinnerung. Er war viel draußen unterwegs – erst in der Nachbarschaft und mit zunehmendem Alter in den angrenzenden Vierteln. Die Kindheit dieser Nachkriegsgeneration ist mit dem behüteten und umhegten Heranwachsen der heutigen Kinder und Jugendlichen überhaupt nicht mehr zu vergleichen. Damals schickte man den Nachwuchs so oft es ging einfach hinaus an die frische Luft »zum Austoben«. Dabei ging es natürlich weniger darum, die Gesundheit der Kinder zu fördern. Vielmehr wollten die Eltern einfach die lärmende Schar aus dem Weg haben, weil sie oft genug als Störung empfunden wurde. Schließlich gab es viel mehr Kinder als heute, die überall herumtobten, auch daran kann Steinbrück sich gut erinnern. Außerdem waren die Wohnverhältnisse in dieser
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher