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Steinbrück - Die Biografie

Steinbrück - Die Biografie

Titel: Steinbrück - Die Biografie
Autoren: Daniel Goffart
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Zeit äußerst beengt, denn im zerstörten Nachkriegsdeutschland mussten die Menschen oft unfreiwillig auf kleinstem Raum zusammenrücken.
    Folglich verbringt der junge Peer wie alle anderen seine ersten Hamburger Jahre mit ganzen Horden von Gleichaltrigen auf den Straßen der Stadt. Und stellt eine Menge Blödsinn an. In den umliegenden Baugruben beispielsweise werden Tannenbäume und anderes brennbares Material angezündet, in den Ruinen spielt man Verstecken, und als Mutprobe dient die Erkundung alter, dunkler Bunker und halb verschütteter Kellergänge. Natürlich werden die Kinder von den Eltern regelmäßig ermahnt, solche unsicheren Orte zu meiden. Doch der Kitzel des Abenteuers, die Neugier und die Bestätigung im Kreis der Gleichaltrigen lassen Einsturzgefahr oder Verletzungsrisiken in den Hintergrund treten. Äußerst bedrohlich wird es allerdings, wenn die Kinder beim Spielen und Herumstöbern in den Ruinen auf alte Patronen und Munitionsreste stoßen und damit gefährliche Experimente anstellen. Besonders Verwegene vermischen den Inhalt der Patronen und zünden ihn in der Hoffnung auf eine kleine Explosion an. Wenn das nicht funktioniert, belohnt zumindest eine zischende, gelb-blaue Stichflamme Mut und Mühe. Oft genug wird solcher Leichtsinn bestraft, denn es gibt viele Unfälle bei solchen Spielen. Doch zum Glück bleiben Steinbrück und die Jungen und Mädchen aus seiner Nachbarschaft verschont.
    Mehr Sorgen als solche riskanten Spiele bereiten dem jungen Steinbrück ohnehin eher die feindlich gesinnten Kindergruppen aus anderen Straßenzügen und Stadtvierteln. Durch manche Gegenden geht man lieber nicht, weil man dann von den ansässigen Altersgenossen verprügelt wird – so wie man das selbstverständlich auch im umgekehrten Fall zu tun pflegt. Es gibt richtige kleine Banden. Nicht im kriminellen Sinn natürlich, aber die Kinder suchen nach dem Vorbild feindlicher Indianerstämme gezielt die Auseinandersetzung mit Gruppen aus anderen Revieren. Für eine kleine Klopperei auf dem Weg zur Humboldtschule, die Steinbrück zunächst besucht, sind er und seinesgleichen immer zu haben.
    Wenn er heute rückblickend mit amüsiertem Schmunzeln aus dieser Zeit erzählt, kann man sich gut vorstellen, dass die Wurzel für Steinbrücks verbale Angriffslust und die unverkennbare Freude an einer politischen Rauferei in seinen ereignisreichen Kindertagen liegt. Jedenfalls scheint er als Junge eher das gewesen zu sein, was man als »Lausebengel« bezeichnet. Ein braver, verwöhnter Bürgersohn war der junge Peer sicher nicht, und das ist dem sozialdemokratischen Spitzenpolitiker bis heute, in seiner persönlichen Selbstdarstellung, auch ganz recht so.
    Dabei wurde er als erstes von zwei Kindern in eine ausgesprochen bürgerliche Familie hineingeboren. Der bekannteste Spross in seinem weitverzweigten Stammbaum ist Gottlieb Adelbert Delbrück, der Gründer des Bankhauses Delbrück, später Mitbegründer der Deutschen Bank und ein Urgroßonkel von Peer Steinbrück. Doch die Verwandtschaft zu den Delbrücks, die im Preußen des 19. Jahrhunderts viele einflussreiche Positionen in der Verwaltung und danach im Bankwesen des Kaiserreichs bekleideten, ist recht weitläufig.
    Die wichtigste Person für die Entwicklung des jungen Peer war anfangs sein Großvater mütterlicherseits, der Hamburger Kaufmann Wilhelm Schaper: korrekt, ordentlich, mit Sinn für Geschäft und Zahlen, aber wohl auch etwas trocken oder dröge, wie man im Norddeutschen gerne sagt. Da der Großvater das offenbar selbst als Mangel empfand, suchte er sich eine Ehefrau mit einem eher gegensätzlichen Naturell. Im Jahr 1913 heiratete er eine junge Dänin, die man als fröhlich und zugewandt charakterisierte und die eine ganz andere Mentalität in die eher strenge hanseatische Familie einbringen sollte.
    Steinbrücks Großmutter, die in Kopenhagen geborene Gerda Neuber, verfügte über Humor, Witz und eine Leichtigkeit, die ihre Angehörigen im steifen Hamburg als wohltuende Abwechslung, ja als Bereicherung empfanden. Die junge Dänin hätte die leicht muffige und verstockte Atmosphäre in der Welt des hanseatischen Bürgertums sonst kaum ertragen. Außerdem brachte die junge Frau neben ihrer positiven Grundstimmung noch etwas anderes, nicht gänzlich Unwichtiges in die Ehe ein: Ihre Familie verfügte über Geld, genauer gesagt über dänisches Geld. Damit konnte sie ihren Mann und die ganze Familie in Hamburg gleich mehrfach vor dem Bankrott bewahren.
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