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Die Könige: Orknacht (Die Könige 1) (German Edition)

Die Könige: Orknacht (Die Könige 1) (German Edition)

Titel: Die Könige: Orknacht (Die Könige 1) (German Edition)
Autoren: Michael Peinkofer
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Prolog
    Der Stollen war fertiggestellt – und es war kein Zufall, dass seine Erbauer ihm den Namen »Zor« gegeben hatten.
    Zor stand für das dunkle Ende.
    Es war die letzte Rune im zwergischen Alphabet.
    Das letzte Zeichen.
    Die letzte Warnung.
    Nie zuvor war ein Stollen dunkler gewesen, nie zuvor hatte Zwergenhand dem Jahrtausende alten Gestein eine tiefere Wunde beigebracht, nie zuvor hatte ein Pfad weiter ins Innere des Berges geführt. Viele Hundert Klafter tief reichte er in die abgründige Schwärze, hinab zu den Fundamenten, die einst von den Riesen der Vorzeit gefügt worden waren und auf denen nicht nur die Gipfel und Klüfte des Scharfgebirges, sondern ganz Erdwelt ruhte. Der Stollen führte ins dunkle Herz des Kontinents, nach Gorta Ruun.
    Es hatte lange gedauert, ihn in den Fels zu treiben, und zahlreiche Opfer waren dafür nötig gewesen, unzählige Sklaven, die man zur Arbeit in der taglosen Tiefe verurteilt hatte. Und es waren Rückschläge zu verkraften gewesen: Einstürze, die vieler Wochen Arbeit innerhalb weniger Augenblicke zunichte gemacht hatten; Schichten harten Gesteins, das selbst den härtesten Werkzeugen zähen Widerstand geleistet hatte; Höhlenwürmer, die nach Blut der Arbeiter gedürstet hatten; und schließlich eine Springflut, die den noch unfertigen Gang überschwemmt hatte.
    Nun jedoch war der Bau vollendet – und kein anderer als Winmar, der Herrscher des Zwergengeschlechts, würde der Erste sein, der in den Stollen einfuhr. Denn nur aus einem einzigen Grund war diese bislang tiefste Kerbe in den Berg geschlagen worden, nur zu einem Zweck waren all die Mühen aufgewendet und Opfer gebracht worden: Damit der Zwergenkönig endlich das tun konnte, wonach die Stimme in seinem Kopf seit Monaten unablässig verlangte, bei Tag und Nacht, mit immer noch wachsender Beharrlichkeit.
    »Komm zu mir!«
    Vielleicht hätte sich Winmar dem Ansinnen der Stimme verweigert, hätte sie ihn nicht zu dem gemacht, was er war: Die Stimme war es gewesen, die ihm den Weg zur Macht geebnet und ihm schließlich die Zwergenkrone eingetragen hatte.
    Sie hatte ihm gezeigt, wie er sich das Vertrauen seines Vorgängers Reginald von Ruun erschlich; sie hatte ihm Mut gemacht, als es darum gegangen war, den Dolch zu nächtlicher Stunde in Reginalds Herz zu senken; und sie hatte ihm neue, mächtige Waffen an die Hand gegeben, damit er die Menschen besiegen und Herrscher über ganz Erdwelt werden konnte.
    Dies alles hatte die Stimme ihm versprochen. Und sie hatte ihren Teil der Abmachung erfüllt – nun würde Winmar seinen erfüllen, der Furcht zum Trotz, die er tief in seinem Inneren empfand.
    »Komm zu mir …«
    »Es ist alles vorbereitet, mein König.«
    Ansgars näselnde Stimme riss Winmar aus seinen Gedanken. Der Hofalchemist, der die schwarze Robe seiner Zunft trug, verbeugte sich tief. Für einen Zwerg war Ansgar ungewöhnlich hager, mit kantigen, schädelhaften Gesichtszügen und tief liegenden Augen; seine Haut hatte die Farbe von Asche, und ihm war anzusehen, dass er lange kein Tageslicht mehr gesehen hatte.
    Winmar bemühte sich erst gar nicht, seine Abscheu zu verbergen. Er mochte Ansgar und seine Gefolgschaft, die sich in dunkle Roben hüllte und beständig in Rätseln zu sprechen schien, nicht besonders. Gleichwohl sah er ein, dass sie ein notwendiges Übel waren, denn aufgrund ihrer Fähigkeiten waren sie in der Lage, das verbotene Wissen, das die Stimme ihm offenbarte, nutzbringend umzusetzen.
    Die Kaldronen waren auf diese Weise entstanden, jene eisernen Kampfmaschinen, vor denen ganz Erdwelt zitterte. Und Winmars Zorn , die furchtbare Waffe, die den Krieg mit den Menschen auf einen Schlag beendet hatte, weil sie in der Lage war, Häuser, Mauern und Türme im Bruchteil eines Augenblicks zu zerstören. Und auch jene neueste Erfindung, die Winmar in kürzester Zeit in die Tiefen des Berges hinabtragen würde, stammte aus den dunklen, rauchverhangenen Grüften der Alchemie. Winmar konnte nicht behaupten, dass er ihr voll und ganz vertraute, aber er hatte keine Wahl, denn die Stimme wurde immer drängender.
    »Komm«, verlangte sie wieder.
    »Worauf wartest du noch?«, fuhr er Ansgar mit dünner Stimme an, die in seltsamem Widerspruch zu seinem mächtigen Körper zu stehen schien. »Bringt mich zum Einstieg. Ich bin bereit, die Reise anzutreten.«
    Ansgar klatschte in die Hände, und die Träger nahmen die königliche Sänfte wieder auf, trugen sie durch den Stollen in das angrenzende Gewölbe.
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