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Starkes Gift

Starkes Gift

Titel: Starkes Gift
Autoren: Dorothy L. Sayers
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man sich wünschen möchte –, aber es bleibt die Tatsache, daß die Verteidigung keinen Beweis für Arsen im Besitz des Verstorbenen erbringen konnte. Und da wir einmal bei diesem Thema sind, will ich noch erwähnen, daß die Chemiker, so sonderbar es klingt, keine Spur von der Holzkohle oder dem Indigo nachweisen konnten, mit dem handelsübliches Arsen versetzt sein sollte. Ob es von der Angeklagten oder dem Verstorbenen selbst gekauft wurde, man hätte in jedem Falle Spuren des Färbungsmittels erwarten müssen. Aber Sie können annehmen, daß alle derartigen Spuren durch das Erbrechen und die anderen Ausscheidungsarten beseitigt wurden.
    Hinsichtlich des eventuellen Selbstmordes müssen Sie sich nun mit diesen zehn Minuten befassen – ob Boyes in dieser Zeit das Arsen zu sich genommen hat oder ob er, was auch möglich ist, sich nicht wohl fühlte und sich irgendwo hinsetzte, um wieder zu sich zu kommen, oder ob er vielleicht nur ziellos in der Gegend umhergelaufen ist, wie wir es ja manchmal tun, wenn wir erregt und unglücklich sind. Vielleicht glauben Sie aber auch, daß die Angeklagte sich hinsichtlich des Zeitpunkts, wann er ihre Wohnung verließ, geirrt oder die Unwahrheit gesagt hat.
    Die Angeklagte hat auch ausgesagt, Boyes habe vor dem Weggehen erwähnt, daß ihm nicht gut sei. Wenn Sie annehmen, daß dies etwas mit dem Arsen zu tun hatte, ist die Vermutung, er habe das Gift erst nach dem Weggehen genommen, natürlich gegenstandslos.
    Bei genauem Hinsehen bleibt die Frage nach dem Einsetzen der Symptome recht unklar. Mehrere Ärzte sind hier vorgetreten und haben Ihnen über ihre eigenen Erfahrungen sowie über Fälle berichtet, die von medizinischen Kapazitäten in Fachbüchern angeführt wurden, und Sie werden gemerkt haben, daß es über den Zeitpunkt, wann mit dem Auftreten von Symptomen zu rechnen ist, keine verläßlichen Auskünfte gibt. Manchmal ist das eine viertel oder eine halbe Stunde, manchmal zwei Stunden, manchmal fünf oder sechs, ja, ich glaube, in einem Falle war es sogar sieben Stunden nach Einnahme des Gifts.«
    Hier erhob sich der Ankläger ehrerbietig und sagte: »In diesem Falle, Mylord, glaube ich recht in der Annahme zu gehen, daß das Gift auf leeren Magen genommen wurde.«
    »Danke, ich bin Ihnen für diese Gedächtnishilfe sehr verbunden. Es handelte sich tatsächlich um einen Fall, in dem das Gift auf leeren Magen genommen wurde. Ich erwähne diese Fälle auch nur, um aufzuzeigen, daß wir es hier mit sehr ungewissen Erscheinungen zu tun haben, und darum rufe ich Ihnen so peinlich genau alle Gelegenheiten ins Gedächtnis, zu denen Philip Boyes an diesem Tage – dem 20. Juni – irgendwelche Speisen zu sich nahm, denn es besteht immer die Möglichkeit, daß Sie diese in Betracht ziehen müssen.«
    »Eine Bestie, aber eine gerechte Bestie«, knurrte Lord Peter Wimsey.
    »Ich habe bisher einen weiteren Punkt, der sich aus der Analyse ergab, bewußt außer Acht gelassen, und zwar das Vorhandensein von Arsen in den Haaren des Toten. Der Verstorbene hatte lockiges Haar, das er ziemlich lang trug; vorne maß es stellenweise, wenn man es auseinanderzog, bis zu fünfzehn oder gar achtzehn Zentimeter. In diesen Haaren wurde nun Arsen nachgewiesen, und zwar in der Nähe der Kopfhaut. Es reichte nicht bis in die Spitzen der längsten Haare, sondern es befand sich in der Nähe der Wurzeln, und zwar in einer Menge, von der Sir James Lubbock sagt, daß es dafür keine natürliche Erklärung gebe. Gelegentlich findet man auch bei ganz normalen Menschen winzige Spuren von Arsen in Haaren und Haut und so weiter, aber nicht in den hier festgestellten Mengen. Das ist Sir James’ Meinung.
    Nun hat man Ihnen erklärt – und hierin stimmen die ärztlichen Gutachter alle überein –, daß ein gewisser Teil des Arsens, das ein Mensch zu sich nimmt, in der Haut, den Nägeln und den Haaren abgelagert wird. Es setzt sich in den Haarwurzeln ab, und wenn das Haar wächst, wandert das Arsen im Haar mit, so daß man anhand der Stelle, an der sich das Arsen im Haar befindet, ungefähr errechnen kann, seit wann es verabreicht würde. Hierüber wurde des langen und breiten diskutiert, aber ich glaube, es herrschte allgemeines Einverständnis darüber, daß man nach Einnahme einer Dosis Arsen damit rechnen kann, Spuren davon etwa zehn Wochen später in den Haaren nahe der Kopfhaut zu finden. Haare wachsen ungefähr fünfzehn Zentimeter im Jahr, und das Arsen wandert mit dem Wachsen der Haare nach
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