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Starkes Gift

Starkes Gift

Titel: Starkes Gift
Autoren: Dorothy L. Sayers
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ungenügendem moralischen Halt und unausgeglichenem Gemüt in Form von Gewaltverbrechen äußern können.
    Die Angeklagte hatte die Mittel – das Arsen –, sie hatte das Fachwissen, und sie hatte die Gelegenheit, ihm das Gift zu verabreichen. Die Verteidigung ist der Meinung, dies sei nicht genug. Sie sagt, die Krone müsse ein weiteres tun und beweisen, daß das Gift nicht auf irgendeine andere Weise eingenommen wurde – aus Versehen oder in selbstmörderischer Absicht. Das zu entscheiden, ist an Ihnen. Wenn Sie vernünftige Zweifel haben, daß die Angeklagte Philip Boyes das Gift vorsätzlich verabreicht hat, so muß Ihr Spruch ›Nicht schuldig‹ lauten. Sie sind verpflichtet, zu entscheiden, auf welche Weise es verabreicht wurde, wenn es nicht von ihr verabreicht wurde. Betrachten Sie die Umstände dieses Falles als ein Ganzes, und sagen Sie dann, zu welchem Schluß Sie gekommen sind.«

3. Kapitel
    »Lange bleiben die sicher nicht«, meinte Waffles Newton.
    »Die Sache ist ja ziemlich klar. Weißt du was, ich gebe schon mal meinen Bericht durch. Sagst du mir nachher, was passiert ist?«
    »Klar«, sagte Salcombe Hardy, »wenn es dir nichts ausmacht, unterwegs auch gleich meinen abzugeben. Du könntest mir nicht telefonisch was zu trinken bestellen? Mein Mund ist so trocken wie der Boden eines Papageienkäfigs.«
    Er sah auf die Uhr. »Die Halb-sieben-Ausgabe werden wir wohl nicht mehr schaffen, fürchte ich, wenn die sich nicht beeilen. Dieser Alte ist sehr genau, aber auch unverschämt langsam.«
    »Sie müssen ja anstandshalber so tun, als wenn sie was zu beraten hätten«, sagte Newton. »Ich gebe ihnen zwanzig Minuten. Und eine Zigarette werden sie rauchen wollen. Ich auch. Um zehn vor bin ich wieder hier, für alle Fälle.«
    Er schlängelte sich hinaus. Cuthbert Logan, der für eine Morgenzeitung berichtete, war ein Mann von mehr Muße. Er schickte sich gerade an, eine bildhafte Darstellung des Prozesses anzufertigen. Er war phlegmatisch und nüchtern und konnte im Gerichtssaal ebenso bequem schreiben wie anderswo. Er war gern an Ort und Stelle, wenn etwas geschah, und hielt mit Vorliebe Blicke, Tonfälle, Farbeffekte und dergleichen fest. Seine Berichte waren stets unterhaltsam und manchmal sogar ausgezeichnet.
    Freddy Arbuthnot, der nach dem Mittagessen doch nicht nach Hause gegangen war, fand es jetzt an der Zeit, dies zu tun. Er rutschte unruhig hin und her, was ihm ein Stirnrunzeln Wimseys eintrug. Die Herzoginwitwe bahnte sich einen Weg durch die Bänke und ließ sich neben Lord Peter nieder. Sir Impey Biggs, der bis zuletzt über die Interessen seiner Mandantin gewacht hatte, zog sich im angeregten Gespräch mit dem Staatsanwalt zurück, gefolgt von den geringeren juristischen Chargen. Die Anklagebank war leer. Auf dem Richtertisch standen einsam die roten Rosen und verloren ihre Blütenblätter.
    Chefinspektor Parker löste sich aus einer Gruppe von Freunden, näherte sich langsam durch die Menge und begrüßte die Herzoginwitwe. »Und was sagst du dazu, Peter?« wandte er sich an Wimsey. »Saubere Arbeit, was?«
    »Charles«, sagte Wimsey, »dich dürfte man ohne mich nicht frei herumlaufen lassen. Du hast dich geirrt, alter Freund.«
    »Geirrt?«
    »Ja, sie war’s nicht.«
    »Na hör mal!«
    »Sie war es nicht. Es klingt ja alles sehr überzeugend und wasserdicht, und trotzdem stimmt es nicht.«
    »Das ist doch nicht dein Ernst.«
    »Doch.«
    Parker machte ein bestürztes Gesicht. Er vertraute Wimseys Urteil und fühlte sich, trotz seiner eigenen inneren Überzeugung, aus dem Lot gebracht.
    »Mein lieber Mann, dann sag mir mal, wo der Fehler stecken soll.«
    »Nirgends. Es ist alles hieb- und stichfest. Kein Fehler weit und breit – nur daß die Frau unschuldig ist.«
    »Du versuchst dich wohl neuerdings als Wald- und Wiesenpsychologe, wie?« meinte Parker mit unsicherem Lachen.
    »Hab ich nicht recht, Herzogin?«
    »Ich wollte, ich hätte das Mädchen einmal kennengelernt«, antwortete die Herzoginwitwe in ihrer indirekten Art.
    »Sehr interessant, und ein wirklich ungewöhnliches Gesicht, wenn auch nicht schön im eigentlichen Sinn, aber das macht sie nur um so interessanter, denn gutaussehende Leute sind ja oft die reinsten Esel. Ich habe eines von ihren Büchern gelesen, wirklich ganz ordentlich, und so gut geschrieben; ich habe den Mörder erst auf Seite 200 erraten, was sehr für sie spricht, denn sonst kenne ich ihn immer schon auf Seite 15. Schon eigenartig, wenn jemand Bücher
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