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Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist
Autoren: Martin Cruz Smith
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dessen fühle ich mich überraschend gut«, sagte Arkadi.
    »Ist es dir egal, ob du tot bist oder lebendig?«, fragte Isakow.
    »Irgendwie habe ich das Gefühl, ich bin beides schon gewesen.«
    Die Walther erschien wieder in Isakows Hand.
    »Okay, benehmen wir uns wie Erwachsene. Marat und ich haben tatsächlich mit Teppichen gehandelt. Na und? In Tschetschenien hat jeder irgendwelche Geschäfte nebenher gemacht, meistens mit Drogen und Waffen. Ich bezweifle, dass es gegen das Gesetz ist, ein kostbares Kunstwerk aus einem brennenden Haus zu retten. Händler und Sammler stellen jedenfalls keine Fragen, und wenn man die Tschetschenen mit Respekt behandelte, waren sie vertrauenswürdige Partner. Aber als ich an dem Tag die Meldung bekam, dass in einer Minute ein russischer Militärkonvoi an der Brücke eintreffen würde, war einfach keine Zeit mehr, das Essen zu beenden, die Teppiche zusammenzurollen und sich freundlich zu verabschieden. Manchmal muss man aus einer üblen Situation das Beste machen.«
    Eva lachte. Wenn sie Verachtung zum Ausdruck bringen wollte, machte sie es gut. »Du bist Teppichhändler? Vierzehn Menschen umgebracht - für Teppiche?«
    »Und in Moskau hast du die Angehörigen deiner eigenen Einheit ermordet«, sagte Arkadi.
    »Lose Enden.« Isakow hob die Hand, damit Arkadi stehen blieb, und tastete ihn ab. »Du hast wirklich keine Waffe. Keine Waffe, keine Fakten, keine Beweise.«
    »Er hat die Fotos«, sagte Eva.
    »Staatsanwalt Sarkisian würde sie zerreißen. Surin ebenfalls.« Isakow richtete die Walther auf Arkadi. Eine bestimmte Schwelle war überschritten worden. »Wahrscheinlich lassen sie mich die Ermittlungen führen. Du hast keine Waffe? Vielleicht genügt die hier. Vielleicht hast du diese alte Kanone beim Graben gefunden. Und im Grunde hattest du keinen Plan. Du hast Eva gesehen und bist von deinem Motorrad gesprungen. War es das wert, nur um sie zurückzubekommen?«
    »Ja.« Er begriff, dass er ihretwegen aus dem dunklen See zurückgekommen war, in dem er mit dem Kopfschuss versunken war.
    Aber ein Teil seiner selbst dachte in professionellen Bahnen.
    Isakow würde zuerst ihn, dann Eva erschießen, und dann würde er Arkadis Finger um die Waffe legen, damit es wie Mord und Selbstmord aussah, begangen auf offener Straße, aus nächster Nähe und in großer Hast. Die Walther war eine schwere Double-action-Pistole mit langem Durchzug und einem mächtigen Rückstoß. Sie füllte Isakows Hand aus. Er zeigte keine Eile, aber auch kein Zögern. Arkadi erinnerte sich an Ginsbergs Bewunderung für Isakows Ruhe unter Beschuss.
    War vor den Monitoren der Sicherheitskameras irgendjemand wach? Oder in dem BMW? Arkadi hörte ferne Motorengeräusche, aber wo war der blau-weiße Milizwagen? War um diese Zeit kein Bäcker unterwegs zu seiner Backstube? Die Sowjetskaja-Straße war still wie ein Grab.
    »Keine Waffe, kein Staatsanwalt, keine Fakten, keine Beweise.« Isakow trat nicht zurück, um Arkadi zu erschießen, sondern drückte ihm die Mündung unter das Kinn - ein Schuss, der nicht fehlgehen konnte. »Und dann verlässt dich deine Geliebte. Kein Wunder, dass du deprimiert bist.«
    »Kein Wunder, dass du deprimiert bist«, wiederholte Isakows Stimme in Evas Manteltasche.
    Sie zog den Kassettenrekorder heraus, ließ ihn aufklappen und hielt die Kassette in die Höhe. Ungläubig sah Isakow zu, wie sie die Kassette über den Zaun warf. Das weiße Gehäuse verschwand auf dem verschneiten Rasen. Die hellen Lichter eines Bewegungsmelders leuchteten auf und erloschen wieder.
    Isakow hielt die Pistole fest unter Arkadis Kinn gedrückt. »Geh sie holen.«
    »Am Tor ist eine Kamera.«
    »Du kannst hinüberklettern, drunter durchkriechen oder dich durchzwängen - mir egal.« Isakow ließ Arkadi los und gab ihm einen Stoß. »Geh sie holen.«
    »Sonst …? Ich glaube, das Band ist nicht leicht zu finden.«
    »Und wenn du diese alte Kanone abgefeuert hast, wirst du nie im Leben Zeit genug haben, es zu suchen, aber du musst es finden, denn es enthält ein umfassendes Geständnis. Im Schach nennt man so etwas eine Fesselung.«
    Ein mahlendes Geräusch kündigte das Nahen der Schneepflüge an, die die Straße freischürften. Die schweren Fahrzeuge fuhren langsam, aber majestätisch in einem gleißenden Licht, und Arkadi und Eva gingen neben ihnen her. Vom Motorrad aus sahen sie, dass Isakow immer noch vor dem Tor stand, wie gelähmt.
     
    Sechsundzwanig
    Auf der Fahrt zur Wohnung fühlte Arkadi sich beschwingt an
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