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Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist
Autoren: Martin Cruz Smith
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Pappbecher mit Tee.
    »Deine Ärztin hat mich angerufen. Ich habe Platonow angerufen.«
    »Sie und Schenja dachten doch nicht, dass Ihre Freunde Sie im Stich lassen«, sagte Platonow.
    »Hast du eine Beziehung mit Elena Iljitschnina?« Arkadi sah Viktor an.
    »Sozusagen. Wir haben zusammengesessen, als du im Krankenhaus warst. Wir haben uns die Nachtwache geteilt.«
    »Du warst betrunken.«
    »Kleinigkeit. Trink deinen Tee.«
    Der Tee sah schwach aus und fühlte sich kalt an. Arkadi nippte daran und hätte fast ausgespuckt.
    »Ein Hauch von Äthanol.« Viktor zuckte die Schultern. »Es gibt solchen und solchen Tee.«
    »Das ist ekelhaft.«
    »Gern geschehen.« Er reichte Arkadi eine Pistole und ein Extramagazin.
    Arkadi winkte ab. »Ich glaube nicht, dass Elena Iljitschnina dich angerufen hat, damit wir hier im Krankenhaus eine Schießerei veranstalten.«
    »Aber wir würden berühmt werden. Wir kämen als Terroristen in die Abendnachrichten.«
    Schenja und Platonow spielten Blindschach. Es war genau das, was der Junge brauchte, um auf andere Gedanken zu kommen. Viktor war völlig vertieft in einen Katalog für Damenunterwäsche.
    Arkadi nickte ein, und im Traum ging er Zigaretten holen.
    Er fand einen Automaten im Keller neben der geschlossenen Cafeteria und einer Ausstellung von Kindermalerei. Es gab zahllose Prinzessinnen und Eiskunstläufer, Eishockeyspieler und Schwarze Barette.
    Auf dem Rückweg verlief er sich, verpasste einen Flur und nahm einen falschen Aufzug in einen ganz anderen Teil des Krankenhauses. Jetzt war ihm heiß; er war verschwitzt, und es war mitten am Tag. Er hörte das Dröhnen von Außenbordmotoren, das Plätschern von Rudern im Wasser, das Klatschen von Fischen, und er spürte die Trägheit eines treibenden Aluminiumbootes. Mückenlarven schlüpften im Wasser, Libellen mästeten sich an den aufsteigenden Mücken, Schwalben fingen die Libellen aus der Luft, und Pferdebremsen fraßen Platonow auf. Er trug eine Mütze nach Art des Afrikakorps, und alle fünf Minuten schlug er anfallartig um sich und brachte das Boot zum Schaukeln.
    »Blutsauger! Wahrscheinlich bleibt das Ungeheuer deshalb in düsteren Tiefen.«
    Platonow senkte die Ruder wieder ins Wasser und brachte einen Zug zustande. Er hatte das Rudern übernommen, weil seine Körpermassen das Boot aus dem Gleichgewicht gebracht hätten, wenn er sich in den Bug gesetzt hätte. Schenja saß vorn; er trug T-Shirt und Shorts und durchsuchte eine Kiste mit Feuerwerkskörpern. Er war leicht gebräunt von der Sonne und hatte sogar ein bisschen zugenommen. Eine Kamera hing an einem Riemen um seinen Hals.
    »Wir haben nur noch eine Bombe«, sagte er.
    »Wie sieht es mit belegten Broten aus?«, fragte Platonow. Arkadi warf einen Blick in den Picknickkorb. »Wir haben noch jede Menge. Ein paar sind allerdings ein bisschen nass.«
    »So etwas gibt es nicht«, sagte Platonow. »Ein belegtes Brot, das nur ein bisschen nass ist.«
    Schenja suchte das Wasser durch die Kamera ab. »Wussten Sie, dass manche Leichen nicht auf den Grund sinken oder oben treiben, sondern einfach irgendwo im Wasser schweben?«
    »Klingt entzückend.« Platonow tauchte seine Mütze ins Wasser, setzte sie wieder auf und genoss das kühle Nass, das an ihm herunterfloss.
    »Erzähl mir noch einmal von deinem Plan«, sagte Arkadi. »Wir zünden eine Bombe - in Wirklichkeit einen großen Kanonenschlag«, sagte Schenja. »Das Ungeheuer ist neugierig, es kommt herauf, und ich kann es fotografieren.«
    »Ein guter Plan.«
    »Das kommt auf die Titelseite jeder wissenschaftlichen Zeitschrift«, sagte Platonow.
    Eine Libelle schwirrte in Achten und Schleifen um das Boot herum, so nah an Platonow, dass er das Gleichgewicht verlor. Das Boot machte einen Ruck, aber er und Schenja blieben sitzen. Arkadi fiel über Bord und versank. Er fühlte sich wohl unter der Oberfläche; er trieb im Schatten des Bootes dahin, als ein größerer Schatten sein Gesichtsfeld durchquerte. Ein Stör, mindestens hundert Jahre alt, mit gepanzerten Rippen und von Muscheln übersät, schwamm vorüber, und sein Maul zog einen weißen Schleier hinter sich her. Der Riesenfisch war metallisch grau, und seine Augen waren so groß wie Teller. Arkadi folgte dem Schleier auf den dunklen Grund des Sees und fand Eva, eingeklemmt unter einem schweren Stein, den er nicht von der Stelle bewegen konnte. Arkadi spähte zum Boot hinauf und sah, dass Schenja etwas ins Wasser warf. Die Bombe! Eine mächtige Luftblase explodierte.
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