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Stalins Geist

Stalins Geist

Titel: Stalins Geist
Autoren: Martin Cruz Smith
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Personen war in eine Million Stücke zerfetzt.
    Arkadis Plan war genauso einfach. Es war an der Zeit, dass er und Schenja der Sache ein Ende machten und die Erlebnisse in Twer als Fieberanfall oder Albtraum behandelten. Arkadi konnte seine Sachen in einer Minute zusammenpacken, und Schenja hatte alles in seinem Rucksack. Er zog Bilanz: Er hatte Eva verloren, Schenja traumatisiert und seine keineswegs glanzvolle Karriere beendet. Konnte man noch mehr Schaden anrichten?
    Arkadi bog in die Sowjetskaja-Straße ein, die Hauptdurchgangsstraße. Die Schneeflocken schmolzen, wenn sie landeten, und die Straße war von fotografischer Stille mit ihren Kontrasten aus silbrigen Straßenbahnschienen, nass glänzendem Asphalt und einem Paar, das an einem schmiedeeisernen Zaun entlangging.
    Eine Straße weiter, vor dem Schauspielhaus, winkte Arkadi den Lada an den Randstein und ging zurück zu Sofia Andrejewna. Sie kurbelte das Fenster herunter.
    »Spucken Sie oft in der Öffentlichkeit?«
    »Selbstverständlich nicht. Was für eine Frage.«
    »Wir sind gerade an einem Gebäude vorbeigefahren. Wenn Sie dort vorübergehen, spucken Sie aus.«
    »Das ist kein Spucken, das ist ein Schutz vor dem Teufel.«
    »Der Teufel wohnt in der Sowjetskaja-Straße?«
    »Natürlich.«
    »Ich glaube, ich habe ihn eben gesehen.« Arkadi gab Sofia Andrejewna den Wohnungs schlüssel. »Er ist nicht allein.«
    Sie gingen an dem schmiedeeisernen Zaun entlang, Eva in Schal und Mantel, und Isakow hatte die Hände in den Taschen seines OMON-Mantels vergraben. Sie waren nicht überrascht, als Arkadi neben ihnen auftauchte; sie warfen nur einen langen Blick auf den Bluterguss, der sein Gesicht zur Hälfte bedeckte.
    Arkadi gab eine einsilbige Erklärung ab. »Urman.«
    »Und wie geht es Marat?«, fragte Isakow.
    »Er hat ein Loch gegraben und eine Mine ausgelöst. Es war eine Springmine. Er ist tot.«
    »Und wo warst du?«, fragte Eva.
    »In dem Loch. Schenja auch. Mit ihm ist alles in Ordnung.« Im Wächterhäuschen vor Nummer sechs war niemand, aber durch das Zaungitter konnte Arkadi im Hof einen schwarzen BMW erkennen. Der Fahrer döste am Steuer. Hinter dem Tor waren die Kameras einer Überwachungsanlage angebracht, und auf der Dachkante glaubte Arkadi Flutlichtscheinwerfer zu sehen.
    »Du hast Marat umgebracht?«, fragte Isakow. »Das kann ich kaum glauben.«
    »Ich auch nicht«, sagte Arkadi. »Was ist das für ein Gebäude?«
    »Das war die Zentrale der Staatssicherheit während des Krieges.«
    »Hier hat Nikolais Vater gearbeitet«, erklärte Eva. »Die Lubjanka von Twer.«
    »Er war Agent des NKWD?«
    »Er hat seinen Teil getan.«
    »Erzähl’s ihm«, sagte Eva.
    Isakow zögerte. »Eva nimmt es mit der Wahrheit sehr genau. Also, mein Vater. Ich habe mich immer gefragt, wie er beim NKWD sein und von seinen Kollegen doch so verächtlich behandelt werden konnte. Er war alt, als ich geboren wurde, und inzwischen ein Trinker, aber zumindest war er doch im Krieg Spion gewesen, dachte ich, und er tat, als hätte er Staatsgeheimnisse zu hüten gehabt. Er hatte ein Ekzem vom vielen Händewaschen, und je mehr er trank, desto öfter sprang er auf und wusch sich die Hände und trocknete sie ab. Auf seinem Sterbebett sagte mein Vater, es gebe noch ein polnisches Grab. Als ich ihn fragte, wovon er da redete, erzählte er mir, dass er Henker gewesen sei. Er habe nie spioniert, sondern immer nur Leute erschossen. Aber nicht einfach erschossen, er habe auch registriert, wohin sie dann gekommen seien. Das war sein Abschiedsgeschenk an mich: ein weiteres polnisches Grab. Zwei Geschenke«, korrigierte Isakow sich. »Er hinterließ mir auch seine Pistole. Ich habe sie heute Morgen in einem Samtbeutel gefunden, immer noch geladen.«
    »Warum erzählst du mir das?«, fragte Arkadi. »Weil ich glaube, dass du es für dich behältst.«
    »Mir ist kalt«, sagte Eva. »Lasst uns weitergehen.«
    Ein zivilisierter Spaziergang durch leichten Schneefall mitten in der Nacht. Voller Leutseligkeit.
    Isakow legte Arkadi den Arm um die Schultern. »Marat hätte dich bei lebendigem Leibe gefressen. So stark siehst du nicht aus, und - ehrlich gesagt - du siehst auch nicht aus, als ob du so viel Glück hättest.«
    »Ich war’s ja nicht. Er hat eine Mine ausgegraben.«
    »Dazu war er zu erfahren. Er war ein Schwarzbarett. » »Die Elite?«
    »Was sonst? Sie haben uns nach Tschetschenien geschickt, damit wir dem Militär den Rücken stärken. Die Armeeoffiziere waren zu betrunken, um ihre
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