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Fiesta

Fiesta

Titel: Fiesta
Autoren: Ernest Hemingway
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Erstes Buch
1
    Robert Cohn war in Princeton Mittelgewichtsmeister im Boxen gewesen. Glauben Sie nicht etwa, daß mir so ein Boxtitel imponiert, aber für Cohn bedeutete er viel. Er machte sich aus Boxen an und für sich gar nichts; tatsächlich fand er es gräßlich, aber er hatte es mit viel Ausdauer und Mühe erlernt, um seine Minderwertigkeitsgefühle und seine Schüchternheit auszugleichen, denn man hatte ihn in Princeton als Juden behandelt. Die Überzeugung, daß er jeden, der frech gegen ihn war, niederschlagen konnte, gab ihm eine gewisse innere Beruhigung. Aber aus Schüchternheit, und weil er wirklich ein riesig netter Kerl war, boxte er nur im Ring. Er war der Renommierschüler von Spider Kelly. Spider Kelly lehrte alle seine jungen Leute als Federgewichtler boxen, ganz gleich, ob sie einhundertfünf oder zweihundertfünf Pfund wogen. Aber für Cohn schien dies das Richtige zu sein. Er war wirklich sehr fix. Er machte seine Sache auch so gut, daß Spider ihn unverzüglich überschätzte und sein Gegner ihm die Nase für alle Zeit plattschlug. Dies vergrößerte Cohns Widerwillen gegen das Boxen, aber es gab ihm eine seltsame Art von Befriedigung und verbesserte jedenfalls seine Nase. Im letzten Jahr, das er in Princeton zubrachte, las er zu viel und gewöhnte sich an, eine Brille zu tragen. Ich habe nie jemanden aus seiner Klasse getroffen, der sich seiner erinnert hätte. Sie erinnerten sich nicht einmal daran, daß er Boxchampion der Mittelgewichtler gewesen war.
    Ich mißtraue allen offenen und einfachen Leuten, hauptsächlich wenn ihre Lebensgeschichte keinerlei Lücken aufweist, und ich hatte immer den Verdacht, daß Robert Cohn vielleicht niemals Boxchampion der Mittelgewichtler gewesen war und daß vielleicht ein Pferd ihn ins Gesicht getreten hatte oder daß möglicherweise seine Mutter sich vor irgend etwas erschreckt oder irgend etwas gesehen oder daß er sich als kleines Kind gestoßen hatte; aber schließlich bestätigte mir jemand die Geschichte mit Spider Kelly. Spider Kelly erinnerte sich nicht nur an Cohn: er hatte sich sogar oft gefragt, was wohl aus ihm geworden sein mochte.
    Robert Cohn gehörte durch seinen Vater einer der reichsten und durch seine Mutter einer der ältesten jüdischen Familien New Yorks an. Auf der Militärschule, die ihn auf Princeton vorbereitete, und in seinem Footballteam, in dem er sich außerordentlich hervortat, hatte ihn nie jemand rassebewußt gemacht. Niemand hatte ihn je fühlen lassen, daß er ein Jude und dadurch anders als irgend jemand anderes sei, bis er nach Princeton kam. Er war ein netter Junge, ein guter Kamerad und sehr schüchtern, und es verbitterte ihn. Er revanchierte sich durchs Boxen und verließ Princeton mit schmerzendem Selbstgefühl und einer plattgequetschten Nase. Er ließ sich von dem ersten Mädchen, das ein bißchen nett zu ihm war, heiraten. Er war fünf Jahre verheiratet, hatte drei Kinder und verlor fast alles von den 50000 Dollar, die ihm sein Vater hinterlassen hatte; das meiste der Erbmasse war seiner Mutter zugefallen. Seine häusliche Misere mit einer reichen Frau machte ihn klein und häßlich, und gerade als er sich zu dem Entschluß durchgerungen hatte, sie zu verlassen, verließ sie ihn und lief mit einem Miniaturmaler auf und davon. Da er seit Monaten mit dem Gedanken gespielt hatte, seine Frau zu verlassen, und es nur nicht getan hatte, weil er es zu grausam fand, sie seiner Gegenwart zu berauben, bedeutete ihr Weggehen für ihn eine äußerst heilsame Lehre.
    Die Scheidung wurde arrangiert, und Robert Cohn ging an die Küste. In Kalifornien fiel er einigen Literaten in die Hände, und da er noch etwas von seinen 50000 Dollar übrig hatte, unterstützte er sehr bald eine Kunstzeitschrift. Die Zeitschrift erschien zuerst in Carmel, Kalifornien, und endete in Provincetown, Massachusetts. Zu der Zeit war Cohn, den man als Engel in der Not angesehen hatte und dessen Name auf der redaktionellen Seite nur als Mitglied des beratenden Vorstandes erschienen war, alleiniger Herausgeber geworden. Es war sein Geld, und seine Autorität als Herausgeber machte ihm Spaß. Es tat ihm sehr leid, als die Zeitschrift zu viel verschlang und er sie deshalb aufgeben mußte.
    Aber da hatte er auch schon andere Dinge im Kopf. Eine Dame, die mit der Zeitschrift gleichzeitig Karriere zu machen hoffte, hatte ihn in die Hand genommen. Sie war äußerst tatkräftig, und eigentlich hatte Cohn auch gar keine Chance, nicht in die Hand genommen zu
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