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Stadt der Liebe

Stadt der Liebe

Titel: Stadt der Liebe
Autoren: Heinz G. Konsalik
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dem Dauphin seine Kunst zu schenken.
    Die schwarzen Schwäne zogen majestätisch durch das Wasser.

XI
    In seinem stinkenden Versteck lag der Präfekt auf einem ekelerregenden alten Strohsack und stellte immer wieder die gleiche einfache Rechnung an, die sein Inneres zerfraß.
    Sechs Beutel Gold hatte der Dauphin auf seinen Kopf ausgesetzt; vier Beutel hatten ihm selbst noch zur Verfügung gestanden, die er den Hafendirnen gegeben hatte; dafür hielten diese ihn hier im Keller zwischen Fässern, Kisten, Säcken, auf verfaultem Stroh versteckt. Aber wie lange noch? Jedes Geräusch, auch das geringste, ließ den Präfekten erbeben. Vier Beutel hatten die Dirnen schon, warum sollten sie nicht noch sechs dazu kassieren wollen? Vier plus sechs Beutel, das ergab zehn Beutel, zehn Beutel, zu verdienen durch die Auslieferung eines Subjekts, das nur noch ein Haufen Dreck war und im eigenen Leben nie auch nur einen Funken Treue geübt hatte. Zehn Beutel Gold erwarb eine Dirne niemals auf eine ihr als normal zuzusprechende Weise. Mit dieser Summe konnte sie sich im Bois eine Villa erbauen, sich Personal halten, zur Stadtkokotte werden, die in allen Zirkeln saß und die Séparées begehrt machte.
    Was galt da ein Präfekt, dessen Amtsgewalt ihn verlassen hatte, der nur noch ein zitternder, fetter, schwitzender, verfolgter Lump war, der gesuchteste Schurke Frankreichs?
    Der Dicke sah es ein, daß es keinen Ausweg mehr gab für ihn. Gnade würden selbst die Götter nicht für ihn mehr übrighaben – es blieb allein der Strang oder – noch schlimmer – das Rad, die Folter.
    Schande übers Grab hinaus …
    Ob man vielleicht in dieser letzten Stunde eines nur von Laster und Verfolgung anderer geprägten Lebens Gerechtigkeit mit eigener Hand übt? Ob sich zusammengeraffter Mut in diesem letzten Augenblick noch nützlich machen kann?
    Vielleicht naht schon die Garde, poltern ihre Stiefel bald die steile Treppe zum Versteck herab.
    Der kleine Dicke schwitzte nicht mehr, sondern ihn fror nun. Er spürte die Grabeskälte, die ihn schon umwehte.
    Es gelang ihm, von der Mauer einen Kalkstein zu lösen. Er schnitt eine scheußliche Grimasse, grinste diabolisch und leistete der Hölle, die sich immer über Zugang freut, einen zusätzlichen Dienst, indem er an die geschwärzte Wand schrieb: »Strafet Orléans und den Burgunder! Der Bastard trachtet nach der Krone!«
    Dann setzte er sich auf ein Faß, riß von den Kisten die verrotteten Strickreste und flocht aus ihnen ein langes, festes Seil. Mit zitternden Fingern knüpfte er die Teile zusammen und prüfte ihre Haltbarkeit immer wieder durch ruckartiges Ziehen und Reißen. Um Gott zu lästern, preßte er bei dieser Tätigkeit die schauerlichsten Flüche, deren sich der verkommenste Matrose geschämt hätte, zwischen den Zähnen hervor.
    Als er mit der Herstellung des Seiles fertig war und eine letzte Prüfung ergab, daß es seinen Ansprüchen genügte, schlang er es um einen Deckenbalken, knüpfte eine Schlinge, stellte sich ein Faß darunter, bestieg es und – stieg noch einmal vom Faß herunter. Er hatte etwas vergessen. Sorgsam nahm er die Spitzenkrause vom Hals, wie er es jeden Abend getan hatte, und legte sie fein zusammengefaltet auf den Strohsack.
    Dann stand er wieder auf dem Faß, ergriff mit beiden Händen die vor seinem Gesicht baumelnde Schlinge und setzte, ehe er den Kopf in sie steckte, zu seinem letzten gotteslästerlichen Fluch an. Doch plötzlich verließ ihn dieser satanische Mut, und er änderte seine Praxis. Er warf das Steuer herum, indem er begann, mit krächzender Stimme ein Vaterunser zu beten. Ganz langsam tat er es, um sich selbst noch ein bißchen Zeit zu geben. Einmal aber endet auch das längste Gebet.
    Ein zweites Vaterunser ertönte in dem dunklen Keller und ein drittes. Dann aber ermannte sich die Kreatur, die noch vor kurzem der allmächtige Polizeipräfekt von Paris gewesen war, und legte sich die Schlinge um den Hals. Ein letzter Blick fiel noch einmal auf die Schrift an der geschwärzten Wand.
    »Orléans, du bist ein Schurke«, sagte eine Stimme, die ihrem Besitzer selbst völlig fremd war. »Auf baldiges Wiedersehen …«
    Der Selbstmörder sprang vom Faß, sein Körper fiel, bis sich der Strick am Hals raffte und krachend das Genick brach. Mit hervorgequollenen Augen, die Zunge im Mundwinkel, hing der Präfekt im Keller, eine Leiche, deren Anblick Entsetzen hervorrufen konnte, aber keine Trauer.
    So fanden ihn die von den zwei Dirnen rasch gerufenen
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