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Hausbock

Hausbock

Titel: Hausbock
Autoren: Richard Auer
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EINS
    »Wo bleiben die Kinder bloß?« Mike Morgenstern hatte sich ein Bier
aufgemacht und sich auf einen gemütlichen Samstagabend gefreut. Doch mit der
Ruhe wurde es nichts. »Verdammt noch mal, Fiona, jetzt ist es schon acht, und
die beiden sind immer noch nicht zu Hause.«
    »Du brauchst gar nicht so rumzufluchen. Wie oft soll ich es dir denn
noch erklären? Ich hab ihnen gesagt, sie müssen um sieben Uhr da sein.« Fiona
schaute auf ihre Armbanduhr. »Sie sind gegen vier mit den Fahrrädern und dem
Fußball los. Zum Bolzplatz an der Altmühl Richtung Rebdorf.«
    »An der Altmühl …«, sagte Morgenstern, und hörte selbst, dass
seine Stimme ein wenig zu schrill klang.
    »Mike, du weißt ganz genau, dass Marius und Bastian gut schwimmen
können. Marius kann’s inzwischen sogar besser als du. Sie werden halt die Zeit
vergessen haben. So etwas passiert am Bolzplatz schon mal.« Sie strich ihm über
den Kopf. »Reg dich bitte nicht auf.«
    Doch Mike Morgenstern, Kriminaloberkommissar bei der Kripo in
Ingolstadt, regte sich auf. Wie ein Tiger im Zoogehege ging er in der Küche auf
und ab, schaute jede Minute auf die Uhr oder blickte durchs offene
Wohnzimmerfenster auf die Straße hinab in der Hoffnung, dass seine beiden Söhne
endlich auftauchten, verschwitzt vom Fußball und Radfahren und erfüllt vom schlechten
Gewissen, das der Vater mit einer tüchtigen Gardinenpredigt noch ein bisschen
größer machen würde.
    »Na, ihr kommt mir mal nach Hause!«, schimpfte er leise vor sich hin
und schaute wieder auf die Uhr. »Wenn sie in zwei Minuten nicht da sind, fahre
ich zum Bolzplatz und ziehe sie eigenhändig an den Ohren nach Hause.«
    »Geht’s dir noch gut?«, fragte seine Frau.
    »Ich mach mir halt Sorgen«, gab Morgenstern zu. »Ich habe genug
Phantasie, um mir alle möglichen schrecklichen Dinge auszumalen. Vergiss nicht:
Ich bin bei der Kripo.«
    »Jetzt mal nicht gleich den Teufel an die Wand«, sagte Fiona. »Die
Jungs sind sieben und neun Jahre alt. Die passen schon auf. Sie steigen zu
keinem Fremden ins Auto, nehmen von niemandem vergiftete Schokolade an, fahren
immer brav auf dem Radweg und setzen sogar die Helme auf. Was soll da
passieren?«
    Demonstrativ begann Fiona, Wasser ins Spülbecken der Küchenzeile
einzulassen. Mit viel Geklapper wusch sie ein paar Teller und Töpfe ab, im
Bemühen, häusliche Normalität zu verbreiten. Morgenstern nahm brav ein
Geschirrtuch vom Haken und trocknete die Teller ab. Doch schon der zweite glitt
ihm aus den Händen, fiel auf den gefliesten Boden und zerbrach mit lautem Knall
in mehrere Teile. Entnervt begann er, mit Schaufel und Besen die Scherben
zusammenzukehren.
    »Scherben bringen Glück«, sagte er dabei, aber aus seinem Mund hörte
es sich mehr wie eine Verwünschung an. »Sie sind noch zu klein, als dass sie
sich dauernd draußen rumtreiben dürfen, noch dazu ohne Handy, mit dem man sie
ein bisschen unter Kontrolle hätte«, haderte er halb mit sich und halb mit
Fiona, während er die Scherben in den Mülleimer warf. »Andere Kinder sitzen um
die Zeit vorm Fernseher oder machen ein Computerspiel oder solche Sachen.«
    Fiona klapperte aufgebracht im Spülbecken. »Denk mal an deine eigene
Kindheit. Ich möchte gar nicht wissen, was ihr da alles getrieben habt, damals
in Nürnberg.«
    »Das waren andere Zeiten, das lässt sich mit heute gar nicht
vergleichen«, beharrte Morgenstern und dachte an verwilderte Grundstücke, an
Bombentrichter am Stadtrand und zugewucherte Bunkeranlagen. Einmal hatte einer
aus ihrer Bande sogar eine alte Handgranate aus der Pegnitz gefischt. Besser,
wenn er Fiona nichts davon erzählte.
    Ein reines Wunder, dass sie damals ihre Kindheit alle heil überstanden
hatten. In der frommen Bischofsstadt Eichstätt, wo Familie Morgenstern
inzwischen wohnte, würde man so viel Glück vermutlich der rastlosen Hilfe der
Schutzengel zuschreiben. Es gab nicht viele Städte, in denen den Schutzengeln
eine riesige Kirche mitten in der Stadt geweiht war. Morgenstern war bisher
immer achtlos daran vorbeigegangen, aber für einen Moment trug er sich nun mit dem
Gedanken, er könnte dort, gläubig oder eher abergläubisch, mal eine kleine
Kerze anzünden. Nur so für den Fall der Fälle.
    »Ich fahr jetzt zum Bolzplatz und suche die Jungs«, sagte Morgenstern
entschlossen. »Diese elende Warterei ist ja nicht zum Aushalten.«
    »Und wenn sie nicht da sind?«, fragte Fiona. Die Frage blieb unbeantwortet
in der Luft hängen.
    »Nun fahr schon«, sagte
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