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Stadt der Liebe

Stadt der Liebe

Titel: Stadt der Liebe
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schrecklichen, zerstörerischen Husten zu achten.
    »Verzeih mir, Jeanette. Versuch doch zu verstehen: Ich kann von hier nicht fort. Und wenn es mein Leben kostet, ich muß in Paris bleiben und mit dem Dauphin sprechen.« Und das Gepäck war geblieben, wo sie es hingestellt hatte. Im Gang …
    Verzeih mir …
    Jeanettes Fuß traf ein Stein. Es schmerzte, ließ sie stolpern. Ihre Tränen waren längst versiegt, doch die Augen schmerzten. Und mit diesen geröteten, schmerzenden Augen blickte sie einer Lerche nach, die steil über die Felder hinauf zum grauen Himmel stieg, nur noch ein Punkt war und sich noch immer mit der Erde durch ihr jubelndes Lied verband.
    Ihr Körper war nun so schwer. Sie war so müde. Sie setzte sich auf die Böschung des Weges. Feucht war die Luft, feucht und warm, und sie empfand sie wie einen fremden Mantel, der sich über Schultern und Arme gesenkt hatte.
    Ihr Blick war geradeaus gerichtet. Büsche wuchsen dort am Rande des Feldes, und zwischen den Stämmen der Erlen zog sich still und grün der Fluß.
    So oft schon hatte sie dort gesessen und hatte auf die Stimme der Strömung gelauscht, ein stetes Murmeln, ein leises Sprechen und manchmal, wenn der Fluß einen Ast herantrieb, war auch ein helles Rauschen zu vernehmen. Sie hörte dem Fluß zu, beobachtete das Wechselspiel von Licht und Farbe auf seiner Oberfläche. Wie die Haut eines Chamäleons, so vermochte sie sich zu verändern. Oder sie suchte die dunklen Formen der Steine in der Tiefe, an denen die Wasserpflanzen zerrten. Libellen schossen hin und her und zogen ihre leuchtendblauen Striche von einem Ufer zum anderen. Und an manchen Tagen hatte sie ganze Trauben von Schmetterlingen über dem Wasser gesehen.
    Sie dachte an diese Schmetterlinge. Doch die Falter blieben nur ein zartes, tanzend verschwommenes Bild vor der Düsterkeit der Gedanken, die Jeanette nun bedrängten. An Anne dachte sie, an ihre Freundin Anne, und es war ihr, als höre sie Anne rufen. Anne und ihr Kind. Anne, die ihr Kind nicht haben durfte, weil niemand es ihr erlaubte, die sich aber auch nicht von ihm trennen konnte und deshalb dort hinüberging, hinüber zum Fluß.
    Einfach hinübergehen …
    Nichts weiter.
    Auch sie hatte ihr Kind verloren. Und damit den Sinn ihres Lebens …

X
    Vor dem Stadttor an der Avenue de Neuilly entspann sich an diesem späten Vormittag zwischen dem Kommandanten der dortigen Wache, einem Leutnant der Miliz, und einem wunderlich gekleideten, schwachbrüstigen und totenblassen Scholaren ein Streit. Letzterer begehrte Einlaß. Er behauptete – welcher Wahnsinn, welche Majestätsbeleidigung! – vom Dauphin ins Schloß eingeladen zu sein.
    »Ich bin Alain Chartier«, setzte er hinzu.
    Alain Chartier! Der Leutnant wollte sich fast vor Lachen biegen und blickte den Mann mit seinen wirren Haaren und dem Taillenrock wie einen Irren an. Alain Chartier, mit dessen Versen und Moralitätenlehren eine neue Richtung in der Literatur begann – parbleu, man sollte diesen Schwätzer da kurzerhand arretieren und wegen Hochstapelei vor den Richter schleifen!
    »Wer willst du sein?« schrie der Leutnant.
    »Alain Chartier.«
    »Dann will ich der Papst in Rom sein!«
    »Ich hätte nichts dagegen.«
    Der Leutnant wandte sich an seine Untergebenen, die Zeugen der Szene waren und grinsten.
    »Habt ihr das gehört? Er hätte nichts dagegen, wenn ich der Papst wäre. Oder der König von Portugal. Er hätte wohl auch nichts dagegen, wenn ich Gottvater wäre. Dafür soll ich, denkt er sicher, nichts dagegen haben, wenn er sich als Alain Chartier bezeichnet.«
    Der Leutnant kehrte sich wieder dem Mann vor dem Tor zu.
    »Ich habe aber etwas dagegen! Und wenn du jetzt nicht augenblicklich abhaust, wenn du nicht sofort deine Beine unter die Arme nimmst und verschwindest, werde ich dir zeigen, was ich dagegen habe! Du bekommst eine Tracht Prügel, die du dein ganzes Leben lang nicht vergessen wirst!«
    »Ihr würdet Euch in Euer eigenes Unglück stürzen. Kam durch dieses Tor hier heute nicht schon der Marquis de Bérguérac mit einigen seiner Gardeoffiziere geritten?«
    »Ja«, stieß der Leutnant überrascht hervor.
    »Er hätte Euch sagen können, daß ich, Alain Chartier, auch noch hier erscheinen werde.«
    Die Verblüffung des Leutnants wuchs.
    »Wieso hätte der mir das sagen können?«
    »Weil er von mir kam, nachdem er mit die Einladung des Dauphins überbracht hatte.«
    Letzte Zweifel waren beseitigt. Der Kerl ist eindeutig wahnsinnig, sagte sich der
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