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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland
Autoren: Beate Sommer
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malerisches Fischerdörfchen an der Ems, kam nicht in Frage, das war ihr dann doch zu klein, zu ruhig, Gott, sie konnte, wenn sie ihn besuchte, die ersten Nächte vor lauter Stille nicht schlafen.
    Jetzt wohnte er in Wiesmoor, einem Städtchen, das sie bislang nur von einem gemeinsamen Besuch in einem Möbelgeschäft her kannte, und der war ihr nur deshalb im Gedächtnis geblieben, weil dort jeder, aber auch jeder Angestellte ihren Vater gegrüßt hatte, als sei er täglich dort anzutreffen. Das macht man hier so, hatte er auf ihren fragenden Blick hin bemerkt. Nun, das war sicher nicht der Grund für seinen urplötzlichen Umzug. Sie hegte den leisen Verdacht, dass eine Frau dahintersteckte, und wenn das wirklich so war, würde sie sich sowieso nicht aufdrängen.
    Leer aber, Leer mochte sie. Das gemächliche Tempo, dem sie sich bei jedem Besuch erst wieder anpassen musste, so ganz anders als in Wiesbaden. Das kulturelle Angebot, das nicht ausufernd – so etwas führte nur dazu, dass man sich schwer entscheiden konnte und letztendlich verzichtete –, aber durchaus ansprechend war. Und der rote Klinker natürlich, der dem grauesten November noch etwas Freundliches verlieh. Hinzu kam, dass sie das Gefühl hatte, einen Schlussstrich ziehen zu müssen. Es gab zu viele Gespenster hier, und je älter sie wurde, desto weniger ließ sich mit ihnen leben.
    Marilene blies die Backen auf. Bei dieser Kälte draußen herumzustehen und zu sinnieren bedeutete nicht direkt, dass sie ihren Verstand verloren hatte, ziemlich grenzwertig war es allerdings schon. Sie ging hinein, um sich den kalorienhaltigen Versuchungen des Abends zu stellen.
    ***
    Sie streckte sich, um die Steifheit aus den Gelenken zu vertreiben. Sie musste zu lange geschlafen haben. Wo war die Decke? Sie tastete vergeblich nach ihr, kein Wunder, dass sie sich kaum rühren konnte, ihr war kalt. Sie öffnete die Augen und sah nichts. Verwirrt schloss sie die Lider, gewiss eine Sinnestäuschung, und schlug sie abermals auf. Immer noch nichts.
    Sie starrte angestrengt nach links oben, wo ihr Dachlukenfenster mit dem selbst genähten, ein wenig schief geratenen Vorhang auch in dunkelsten Nächten erahnbar war, nach einer Weile jedenfalls. Eine hellere Schattierung Schwarz, die beileibe nicht genügend Licht spendete, um etwa ins Bad zu gehen, die aber doch ausreichte, um sich zu orientieren und beruhigt zurück in den Schlaf zu gleiten. Da war nichts. Dies, erfasste sie, hatte mit Dunkelheit nichts zu tun. Sie befand sich in absoluter Finsternis. Oder sie war blind. War sie blind? Der Gedanke erfüllte sie merkwürdigerweise nicht mit Panik, sie empfand vielmehr etwas wie Überraschung, ein leichtes Kribbeln im Bauch, wie vor einer Prüfung, auf die man sich gut vorbereitet hatte.
    Sie schloss die Augen. Weiterschlafen, dachte sie. Aber sie schlief doch, träumte nur, verschwommen und ohne Zusammenhang. Für diesen Traum brauchst du ein Ziel, musst wissen, wie er ausgehen soll, träum weiter, beschwor sie sich. Träum weiter? Etwas an diesem Satz kam ihr vage bekannt vor. Wo nur hatte sie ihn zuletzt gehört? Und warum erschien ihr das so wichtig? Nein, sie konnte sich nicht erinnern, es kam ihr so vor, als habe sie nichts als Watte im Hirn. Sie setzte sich auf.
    Die Matratze quietschte. Ihre Matratze hatte noch nie gequietscht. Sie schwang die Beine über den Rand und stieß schmerzhaft mit den Füßen auf. Und ihre Matratze lag auch nicht auf dem Fußboden. Folglich brauchte sie gar nicht erst nach ihrem Nachtschränkchen zu tasten, der kleinen Lampe, die ein so erstaunlich helles Licht abgab. Wo aber war sie, wenn nicht zu Hause? Sie hatte sich doch wohl nicht aufgabeln lassen von einem beliebigen Fremden und mit ihm die Nacht verbracht?
    »Hallo?«, sagte sie zaghaft fragend, obwohl sie bereits wusste, dass sie keine Antwort erhalten würde. Sie war allein. Das spürte sie. Außerdem ging sie nicht mit Fremden mit. Punkt. Zu Hause allerdings war sie eindeutig nicht.
    Was nun? Dieser Raum oder was immer es war, doch wohl keine Höhle, fuhr es ihr durch den Kopf, irgendwo tief unter der Erde? Nein, sie verdrängte den Anflug von Klaustrophobie, dieser Raum musste einen Ausgang haben, sonst könnte sie wohl kaum hier drinnen sein. Sie stemmte sich hoch, stand unsicher auf wackligen Beinen, spürte, dass sie schwankte, obwohl sie nicht sehen konnte, wie alles um sie herum sich drehte, so, wie sich das gehörte, wenn einem schwindelig war. Sie schloss wiederum die
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