Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland
Autoren: Beate Sommer
Vom Netzwerk:
sehen, wie er ihr die Hand reichte, um sie rauszuziehen, während er sachte, mehr brauchte es nicht, ihren Kopf unters Wasser drückte, ein, zwei Sekunden nur, Angelika, kleines Engelchen.
     

1
    Sie würde den Zug um 19.02 Uhr nicht mehr erwischen. Es war schon zehn vor sieben, und Kassenabschluss und Datensicherung waren noch zu erledigen. Die Fensterläden waren auch noch oben, etwas, das sie in dieser dunklen Jahreszeit gar nicht mochte, nicht, wenn sie allein war jedenfalls. Dann wähnte sie neugierige Augen, die sie vom Garten aus beobachteten, und schon ein vorbeiwirbelndes Blatt konnte sie zusammenfahren lassen, erst recht, wenn es trocken klopfend gegen die Scheibe schlug und sich anhörte, als würde jemand mit dem Fingernagel ein geheimes Zeichen trommeln. Blödsinn, sagte sie sich, aber sie mied jeden Blick, der von den finsteren Spiegeln doch nur abprallte und kaum mehr als eine Ahnung zuließ.
    Noch fünf Minuten. Sie schaltete im Hauptraum die Strahler aus, zögerte dann. Es gab Kunden, bei denen sie es vorzog, sich hinter der relativen Sicherheit des Tresens zu verschanzen, bei denen sie froh um jede Distanz war, und dieser gehörte ganz klar dazu. Aber es half nichts, wenn sie jetzt nicht mit den Schlüsseln rasselte, würde der morgen früh noch hier sitzen.
    Sie ging um die Ecke und betrat die Taschenbuch-Abteilung, den Raum, der ihr normalerweise am liebsten war, gestrichen in einem kräftigen Gelb, sodass man das Gefühl hatte, hier würde immer die Sonne scheinen. Sie schaltete auch hier die Strahler aus, und ihre Hände blieben ruhig, kein Beben verriet ihre Unsicherheit. Gut so, den Gefallen wollte sie ihm nicht tun. Sein Blick versengte ihren Rücken, den schmalen Streifen Haut, der sichtbar wurde, als sie sich nach dem Schalter reckte. Sie spürte, wie ihr die verhasste Röte ins Gesicht kroch, die reine Wut, keinesfalls Verlegenheit, und sie ging mit steifen Schritten zurück zur Kasse.
    Er rührte sich nicht von der Stelle.
    »So«, sagte sie gedehnt und mit aufgesetzter Fröhlichkeit, während sie innerlich kochte, »wir schließen dann jetzt«, und wünschte, das »wir« wäre keine Floskel.
    »Fein.« Seine ölige Stimme war nah, ohne dass sie ihn kommen gehört hätte. »Ach übrigens, im Sherry and Port, Sie erinnern sich, wir sprachen neulich mal davon, spielt heute Abend eine tolle Gruppe. Hätten Sie nicht Lust, mitzukommen? Ich fahr Sie danach auch nach Hause. Na, wie wär’s?«
    Sie rollte mit den Augen, bevor sie sich zu ihm umdrehte und die Zähne zu etwas bleckte, das nicht als Lächeln durchging. »Ich bin heute auf eine Party eingeladen«, entgegnete sie, »mein Freund erwartet mich.«
    »Wie schade.« Er bedachte sie mit dem, was er für einen feurigen Blick hielt. »Dann eben ein anderes Mal.«
    Träum weiter, dachte sie nur und unterdrückte jede Bekundung ihres Unmuts.
    Er schritt forsch zur Tür und hielt, die Hand schon auf dem Griff, noch einmal inne. »Viel Spaß auf der Party.« Seine Betonung legte nahe, dass er ihr die Ausrede nicht abnahm.
    »Danke«, erwiderte sie zuckersüß strahlend und hackte blind, aber geschäftig auf die Tastatur des Computers ein, ließ die Hände erst sinken und den Seufzer hinaus, als das zweimalige Klingeln anzeigte, dass er endlich, endlich fort war.
    Ihre Stimmung hellte sich kurzzeitig auf, als ihr einfiel, dass die Verzögerung wenigstens einen positiven Aspekt hatte. Sie würde in dem Zug um 20.02 Uhr sicher nicht auf den Bekloppten treffen, der sich sonst immer ihr gegenüber niederließ und sie die ganze Fahrt über aus seltsamen Augen anstarrte, ihr sogar noch folgte, wenn sie sich einen anderen Platz suchte. Der war ihr mehr als unheimlich, und sie konnte ja nicht gut um Hilfe bitten, denn er tat ihr nichts, glotzte bloß.
    Was hatte sie nur an sich, dass sie solche Typen anzog? Sie glaubte eigentlich nicht, dass es an ihr lag, aber in letzter Zeit beschlichen sie doch ernste Zweifel. Sie könnte richtig Kohle machen, wenn sie ihre Dienste annoncierte: Ein verquerer Irrer verfolgt dich? Ein unerwünscht hartnäckiger Verehrer? Kein Problem, stell ihn mir vor, und du bist ihn für alle Zeiten los. Die moderne Version eines Rattenfängers. Sie stellte sich vor, wie ihr ein Pulk von geifernden Verrückten hinterherhechelte. Beinahe hätte sie grinsen müssen.
    Sie schlug die Augen nieder, während sie die Fensterläden herunterließ, und ging erst dann nach draußen, um das lesende Holzmännchen hereinzuholen. Sicher war
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher