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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland
Autoren: Beate Sommer
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sicher. Er musste jetzt längst davongefahren sein, aber sie vergewisserte sich nicht, beeilte sich nur, aus dem grellen Licht des Bewegungsmelders fortzukommen, schob den Riegel vor und genoss das Geräusch des zweifach klackenden Schlüssels. Jetzt noch den Antiquariatskarren vor die Tür schieben, und schon fühlte sie sich besser.
    Sie löschte die Deckenlampen bis auf die über der Kasse und machte sich an den Abschluss. Den Bericht heftete sie mit einem befriedigenden Knallen zusammen, stellte die Datensicherung ein und ging in die Küche. Mit einer dampfenden Tasse Tee schlenderte sie gemächlich zurück und betrachtete das über den Bildschirm fliegende Papier, bis das Programm seine Arbeit beendet hatte, und fuhr beide Computer herunter.
    Halb acht. Sie ging zurück in die Küche und nahm das Leseexemplar zur Hand, das sie sich für die Fahrt herausgesucht hatte. Ein Krimi. Schon nach der ersten Seite merkte sie, dass dies kein Buch für einsame Momente war, ihr stand nicht der Sinn nach Gruseln, nicht heute, nicht hier. So etwas las sich besser zu Hause, auf dem Sofa kuschelnd mit ihrem Freund, der sich ein schwachsinniges Fernsehprogramm antat – der pure Trotz, wenn sie nach einem langen Tag keine Lust mehr hatte, noch etwas zu unternehmen. Wie heute. Sie hatte keinen Bock auf die Party, die es tatsächlich gab, aber sie wusste, heute würde er nicht bei ihr bleiben, sondern allein losziehen und sie eine Langweilerin schelten. Doch ihr Bedarf an Menschen war für diesen Tag gedeckt.
    Im Flur, wo die Leseexemplare aufbewahrt wurden, stöberte sie bei den Kinderbüchern, zufrieden, als sie auf das neue über die Kurzhosengang stieß, das war genau richtig. Sie stopfte es in ihren Rucksack zu den Klamotten, die sie bei sich trug, weil sie die Nacht zuvor bei ihrer Schwester verbracht hatte. Einen Moment lang erwog sie, sie anzurufen und zu bitten, sie abzuholen. Ein gemütlicher Quasselabend statt einer öden Party, die zeitig genug zu verlassen, um morgen um sechs aufstehen zu können, ihr auch nur scheele Blicke einbringen würde.
    Viertel vor acht. Sie musste sich entscheiden. Oh was soll’s, gab sie nach, als hätte sie den Disput nicht mit sich selbst, sondern mit ihrem Freund ausgefochten, haue ich mich eben morgen Nachmittag noch mal aufs Ohr. Sie zog, schon im Voraus fröstelnd, ihre Jacke an und die Mütze über die Ohren, die augenblicklich wieder hochrutschte, und stellte wieder einmal fest, dass die Dauerwelle ein Fehler gewesen war. Ohrenschützer wären die bessere Alternative. Ungeduldig stopfte sie das nutzlose Teil in die Jackentasche, schlang sich den Schal zweimal um den Hals, schnappte sich den Rucksack und verließ das Haus.
    Ekelhaftes Wetter, sie schauderte. Die dünne Schneeschicht quietschte unter ihren Füßen, immerhin kein Eis, also konnte es so kalt auch wieder nicht sein. Trotzdem fror sie erbärmlich. Nicht, dass viel dazugehörte: Sie war im Frühjahr stets die Letzte, die die Winterklamotten wegpackte, sicherheitshalber nie völlig außer Reichweite, und im Herbst die Erste, die sie wieder hervorholte. Ein unbewältigtes Kindheitstrauma, hatte mal jemand nahegelegt. Dem sie nicht auf den Grund gehen würde. Sie berief sich lieber auf niedrigen Blutdruck.
    Sie zog das Tor hinter sich zu, und das Licht über der Tür erlosch. Blind für einen Augenblick, hielt sie auf der untersten Stufe inne und erschrak, als ein Schatten die Einfahrt hinaufhuschte. Nur eine Katze, erkannte sie, ein dunkler Schemen, jetzt reglos neben der Mülltonne kauernd. Sie stemmte das widerspenstige Tor der Einfahrt zu und las Empörung in den glühenden Augen. »Mach dich heim«, sagte sie laut und wunderte sich nicht, dass sie ein Miau zur Antwort bekam, bevor das Tier mit flinken Sätzen im Garten verschwand.
    Es war finster. Ein feiner Nebel dämpfte das Wärme vorgaukelnde Gelb der Straßenlaterne gegenüber, und die wenigen vorbeifahrenden Autos blendeten nur. Vor dem Nachbarhaus spürte sie salzblanken Stein unter den Füßen und schritt schneller aus – die Freiheit währte nur kurz, denn gleich darauf trat sie wiederum in knirschenden Schnee und verlangsamte ihr Tempo. Sobald ein Fuß versank, verwandelte sich der Untergrund in tückischen Matsch, wahrlich ein Kunststück, auf den Beinen zu bleiben, und sie strauchelte mehrfach. Hörte sie Schritte hinter sich? Egal, und gewiss nicht ungewöhnlich für die Uhrzeit. Sie bog um die Ecke, und der Niedernhausener Busbahnhof kam in Sicht. Ein
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