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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland
Autoren: Beate Sommer
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hatte, ups, falsches Wort. Sie unterdrückte ein Kichern, aber nein, es gab keine Luxusbadewanne, kein lediglich zugeklebtes Fenster, und so begab sie sich wieder auf ihren Rundgang, das Gesicht zur Wand, sodass sie sie mit den Händen abtasten konnte, während sie den linken Fuß jeweils nach außen schob und den rechten hinterherzog.
    Sie kam langsam voran, was sie ihrer Gründlichkeit zuschrieb, oder der Raum war größer, als sie angenommen hatte. Sie hätte ihre Schritte zählen sollen, aber jetzt würde sie nicht noch einmal von vorn beginnen. Ihr wurde immer kälter, und sie wollte hier raus. Oder wenigstens zurück zu ihrem Lager. Der Gedanke, dass sie hier nicht einfach so hinausspazieren könnte, wenn sie nur den Ausgang fände, begann vage Gestalt anzunehmen.
    Sie stieß an einen Heizkörper, die Rippen wenig mehr als handwarm, doch ihre Hände taugten nicht als Maßstab, durchgefroren, wie sie war. Sie fand den Regler, drehte ihn auf und wartete, dass Wärme strömen möge. Wenn schon kein Licht, dann wenigstens nicht frieren müssen. »Nun komm schon«, sagte sie beschwörend und erlag für einen Moment ihrem Wunschdenken, bevor sie aufgab. Es hätte sie auch gewundert, so ein Anschein von Luxus, hier, in diesem – Verlies? Sie schüttelte die Vorstellung unwirsch ab und machte weiter.
    Eine Ecke, und wieder nur gekalkte Wand, ein Schalter, der ebenfalls zu nichts nutze war, eine Tür. Metall. Sie tastete, hektisch jetzt, nach dem Griff. Kein Griff, verdammt, nur ein kleines metallenes Plättchen dort, wo er einmal gewesen war. Sie ballte die Hände zu Fäusten und schlug einen wilden Wirbel, einen Wirbel, der kaum Resonanz erzeugte. Das war doch nicht möglich! Sie steigerte die Kraft ihrer Schläge, bis ihre Handkanten unerträglich schmerzten, und trotzdem verursachte sie unerheblich mehr Lärm als etwa das Klopfen in den alten Rohren ihrer eigenen Wohnung.
    Sie sank keuchend zu Boden, die Wucht, mit der die Angst über sie herfiel, nahm ihr jede Kraft. Wo war sie? Warum war sie hier? Seit wann? Tränen rannen ihr über das Gesicht, aber sie spürte sie kaum, während die Fragen wieder und wieder durch ihren Kopf hallten, Fragen, die sie nicht beantworten konnte. Sie schniefte und hielt plötzlich inne. Fragen, auf die sie die Antworten vielleicht besser nicht kannte? Sie stöhnte unwillkürlich auf, rieb sich mit dem Ärmel die Tränen vom Gesicht und stemmte sich mühsam wieder hoch. Die Kälte war ihr unerbittlich in alle Knochen gedrungen, sie musste besser auf sich aufpassen, es gab niemanden sonst, der das tun würde.
    Auf demselben Weg, den sie bisher zurückgelegt hatte, tastete sie sich zurück zu der Matratze. Später würde sie die andere Richtung erkunden, jetzt galt es, von dem kalten Boden herunterzukommen und die nassen Strümpfe auszuziehen. An ihrem Ziel angelangt, zog sie Pullover, Strümpfe und Unterhemd aus, zog den Pullover wieder an und legte die Strümpfe zum Trocknen über den Rand der Matratze, bevor sie sich das Hemd um die nackten Füße wickelte und sich hinlegte. Sie verschränkte die Arme gegen die Kälte und rief den Schlaf herbei. Träum weiter, dachte sie und erinnerte sich mit plötzlicher Klarheit wieder an diesen Kunden, der mit ihr hatte ausgehen wollen, an den Mann, der sie verfolgt hatte und dann – nichts. Sie glitt in erschöpften Schlaf.
    ***
    Sie schlief, war dem Adrenalinschub nicht gewachsen gewesen. Er konnte hören, wie sie sich unruhig hin- und herwälzte, als sage ihr Unterbewusstsein, sie müsse sich nur abwenden. Natürlich gab es kein Entrinnen. Und tief in ihrem Innern wusste sie das auch, weigerte sich bloß, das zu akzeptieren.
    Er war gespannt, wann es so weit wäre, wie sie damit umgehen würde, glaubte aber, sie würde länger brauchen als die anderen. Ihr Trotz stand ihr im Wege. Er würde ihr noch einen oder zwei Tage Dunkelheit gönnen, obwohl es fade war, nur zuzuhören. Er schaltete das Aufnahmegerät ein und drehte den Regler der Heizung höher, eine Lungenentzündung wäre zu schade. Bevor er den Keller verließ, öffnete er lautlos – auf diesen Mechanismus war er ziemlich stolz – die schwere Tür und stellte ein Glas mit Wasser, auf dem eine Scheibe Brot lag, auf den Boden. Selbst schuld, wenn sie es wieder umwarf. Sie würde lernen müssen, vorsichtiger zu sein.

2
    Montagmorgen. Es war noch zu früh, als dass Katharina Martens sich gut gefühlt hätte und gewappnet für die stressige Arbeitswoche, die vor ihr lag. Vor der
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