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Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman

Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman

Titel: Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman
Autoren: Peter Temple
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Fahrersitz des großen Geländewagens. Der Fahrer setzte sich aufrecht hin.
    Zum Lotus, die Tür aufschließen, einsteigen, den Motor anlassen.
    Es war ein fremdes Auto. Ich würde Sekunden brauchen, um das Zündschloss zu finden.
    Nein. Zu spät.
    Hinrennen. Zurückrennen. In die Carrigan's Lane und die Smith Street rennen.
    Der Motor des Geländewagens sprang an, Scheinwerfer blendeten auf.
    Renn.
    Ich hatte noch keine fünf Schritte getan, als mir klar wurde, dass ich es nie bis in die Carrigan's Lane schaffen, nie die Smith Street erreichen würde.
    Sieh dich um. Der riesige Wagen löste sich vom Bordstein, die fetten Reifen quietschten.
    Rennen. Rennen wohin? Niemals würde ich meine Bürotür rechtzeitig aufbekommen, es waren zwei Schlösser.
    Rennen, das Auto hinter mir hören, sich umschauen, Scheinwerfer, nur noch fünfzig, sechzig Meter entfernt.
    Rennen. Renn zu McCoys Tür, die könnte offen sein.
    Kopf, Schulter und Arm lehnen aus dem Wagen, aus dem Fenster hinter dem Fahrer. Etwas in der Hand.
    O mein Gott, ich bin tot.
    McCoys Müllcontainer. Spring hinter den Container.
    Ein flaches Klatschen, nicht laut, das Sirren von Blei auf dem Asphalt vor mir.
    O mein Gott.
    Der Container. Fast da.
    Ich konnte den Motor brüllen hören. Nah.
    Ich warf mich hinter den Stahlkasten, schlug aufs Pflaster, landete auf meinem Ellbogen, meiner rechten Hüfte, der Schmerz schoss durch meinen gesamten Körper.
    Ein riesiger Knall direkt neben meinem Kopf. Die Kugel traf den Container.
    Kriechen, hinter den Container kriechen.
    Gelungen.
    Die Geräusche von McCoy, der an seinem Baumstamm arbeitete. Er würde nichts hören außer seinem eigenen Lärm.
    Der Geländewagen im Rückwärtsgang. Zehn Meter zurück. Bremsen. Ich sah die Bremslichter blutrot aufleuchten.
    Sie versuchten, mich ins Schussfeld zu bekommen. Meine Beine taugten nicht mehr.
    Vorwärts. Scharfe Linkskurve. Bremsen. Rücklichter.
    Als der Wagen rückwärts auf den Bürgersteig fuhr, kroch ich auf die andere Seite des Müllcontainers, die schmale Seite. Atemlos, kleine unwillkürliche Angstlaute drangen aus meiner Kehle.
    Ich versuchte zurückzukriechen. Mein rechtes Bein schien gelähmt.
    Kriech. Zieh dich vorwärts.
    Zu spät. Zu spät.
    Ich blickte auf, in das Gesicht eines Mannes auf dem Rücksitz des Geländewagens. Ein fettes Gesicht, ein kahler Kopf, ein offener Mund. Er sah aus wie ein weißer Seehund. Ein glücklicher weißer Seehund mit einer Pistole mit Schalldämpfer. Er stützte die Vorderarme auf den Seitenholm, zielte, ohne Eile. Auf meine Brust. Machte es richtig.
    Ich fühlte nichts mehr. Keine Angst. Nicht einmal Verzweiflung. Nur ein Gedanke an meine Tochter. Ich hatte nicht oft genug geschrieben. Hatte ihr nicht oft genug gesagt, dass ich sie liebte.
    Im Regen zu sterben, im Rinnstein neben einem Müllcontainer. Nicht richtig.
    Jetzt kommt's. Ich schloss die Augen.
    McCoys Haustür flog krachend auf, Licht flutete über mich hinweg. Röhrender Kettensägenlärm.
    McCoy. In der Tür. Den Plastikgesichtsschutz auf dem großen Kopf hochgeschoben. Kettensäge in der rechten Hand, mit laufendem Motor, eine brüllende Kettensäge, die Spitze zeigte zu Boden.
    Der Bewaffnete riss instinktiv seinen Revolver hoch und feuerte auf McCoy, ohne zu zielen. Ein Holzstückchen splitterte von dem Türrahmen nur Zentimeter von McCoys Kopf entfernt ab.
    » AAAARSCHLOCH !«
    McCoys Wutschrei. In einer fließenden Bewegung nahm er den linken Arm vor den Körper, packte die brüllende Kettensäge mit beiden Händen, als wöge sie nichts. Hob sie hoch über den Kopf.
    Warf die laufende Kettensäge.
    Warf sie wie einen Dartpfeil.
    Warf sie auf den Mann, der auf ihn geschossen hatte.
    Weit. Die schwere Waldarbeitermaschine, Hartmetallzähne auf einer Kette, flog durch den Raum.
    In das Gesicht des Mannes.
    Der Mann stürzte nach hinten. Und mit ihm die laufende Kettensäge.
    Der Schrei. Eine schreckliche, durchdringende, blutrote Geräuschexplosion.
    Der Wagen schoss mit jaulenden Reifen davon, bog schwankend in die Carrigan's Lane, raste über den Bordstein, der rechte Kotflügel streifte die Backsteinmauer, das Heck schleuderte herum, knirschte unter einer Fontäne aus roten und weißen Funken an der Wand entlang. Weiter die Straße hinunter, kreischend im ersten Gang.
    Lebendig.
    Im Regen, im Rinnstein, neben einem Müllcontainer.
    Lebendig.
    McCoy und ich blickten uns an.
    »Scheiße«, sagte er und rieb sich seine Bartstoppeln. »War 'ne Stihl-Kettensäge.
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