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Spur ins Eis

Spur ins Eis

Titel: Spur ins Eis
Autoren: Blake Crouch
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dein Leben nicht mehr dir. Sie hatte ihnen sogar ein Motto gegeben – präzise, banal und unvergesslich. Will hatte es mit schwarzem Magic Marker auf das Merkbrett am Kühlschrank geschrieben und es dreimal unterstrichen.
    Scheiß auf die Angst !

77
    Devlin reibt sich schon die Augen. Es ist neun Uhr abends, spät für eine Sechsjährige. Sie steht auf den Zehenspitzen und hängt das letzte Ornament an den Baum – einen durchsichtigen Glas-Kaktus. Ihre Eltern sitzen auf der Couch und trinken Hot Toddies im Arizona-Stil : frisch gepresster Orangensaft, heißes Wasser, Grand Marnier, Honig und ein Spritzer Cayenne.
    Es ist ein warmer Dezemberabend. Devlin krabbelt auf das Sofa zwischen Rachael und Will.
    »Seid ihr alle bereit für It’s a Wonderful Life ?«, fragt Will.
    »Ich schlafe wahrscheinlich ein, bevor Harry im Eis einbricht«, sagt Rachael. Will macht den Fernseher an und steckt die Videokassette in das Videogerät. Mit der Fernbedienung in der Hand kehrt er zum Sofa zurück. » Will, mir ist kalt«, sagt Rachael. »Holst du mir mein Sweatshirt ?«
    »Ich weiß nicht, ob ich dieses grässliche Ding überhaupt anfassen möchte.«
    Sie grinst. »Mach meine Alma Mater nicht schlecht.« Will hatte Jura an der Carolina studiert, während Rachael ihr Examen an der Duke gemacht hatte. Beide lagen kaum zehn Kilometer auseinander, aber größere Konkurrenten gab es wohl nirgendwo. Das marineblaue Sweatshirt war verblichen und man konnte den Schriftzug DUKE kaum noch lesen.
    Will holt es aus der Kommode in ihrem Schlafzimmer und bringt es ihr.
    »Danke, Liebling.« Er setzt sich zu seiner Familie auf die Couch und drückt Play . Seine dunkelhaarigen Mädchen kuscheln sich auf beiden Seiten an ihn, und von Gefühlen überwältigt denkt Will, wie gut er es doch hat. Im Zimmer ist es dunkel, abgesehen von der Lichterkette am Weihnachtsbaum und dem Flimmern des Bildschirms. Und einen Moment lang, bevor der Film beginnt, ist es so still, dass man den Wind aus der Wüste hören kann.

78
    Zehn Jahre später, in einem anderen Bundesstaat, in einem anderen Leben, dekorierten die Innises einen anderen Baum – eine Blaufichte, die Will vor zwei Tagen in einem kleinen Wäldchen am Fluss geschlagen hatte. Rachael lag auf der Couch im Wohnzimmer und sah zu, wie ihr Mann und ihre Tochter Weihnachtsschmuck und selbst gemachte Socken ans Kaminsims hängten. Im Kamin prasselte ein Feuer. Im Farmhaus roch es nach Holz, heißem Kakao und dem Harz der Blaufichte.
    »Könnt ihr euch noch daran erinnern, wie wir Hot Toddies gemacht haben ?«, sagte Rachael.
    Will lächelte. »Mann, die waren gut.«
    »Was ist das ?«, fragte Devlin.
    »Ein heißes alkoholisches Getränk. Wir haben sie immer mit Orangensaft, Grand Marnier … ich habe vergessen, was wir sonst noch hineingetan haben.«
    »Cayenne«, sagte Rachael. »Das war die wichtigste Zutat.«
    »Vielleicht können wir das ja nächstes Jahr machen.«
    »Ja, definitiv.«
    Devlin saß am anderen Ende der Couch, ihrer Mutter gegenüber, und massierte Rachael die Füße. »Ich habe eine tolle Idee«, sagte sie. »Lasst uns It’s a Wonderful Life gucken, so wie früher.«
    »Haben wir das Video noch ?«, fragte Rachael.
    »Nein«, antwortete Will. »Ich habe es mit allen anderen Sachen in Ajo gelassen. Aber ich könnte in die Stadt fahren und gucken, ob die Videothek noch auf hat.«
    »Nein, fahr nicht«, sagte Rachael. »Wir heben es uns für nächstes Jahr auf.«
    »Ja. Nächstes Jahr feiern wir noch einmal Weihnachten mit all unseren alten Traditionen.«
    »Aber ich will noch nicht ins Bett, Dad. Können wir nicht noch ein bisschen aufbleiben ?«
    »Ja, klar, Baby. Natürlich.«
    Rachael fröstelte plötzlich. »Will, mir ist kalt«, sagte sie.
    Will ging auf Socken ins Schlafzimmer. Er wollte schon den Quilt vom Bett nehmen, als es ihm einfiel. Er zog die unterste Schublade an der Kommode neben dem Bett auf. Da lag er. Seit acht Wochen hatte er nicht mehr daran gedacht. Hatte nicht daran denken brauchen. Er holte Rachaels marineblaues Sweatshirt aus der Schublade heraus.
    Er roch daran. Das Kleidungsstück roch schon lange nicht mehr nach ihr.
    Einen Moment lang setzte er sich aufs Bett und drückte einfach nur Rachaels Sweatshirt ans Gesicht. Er ließ seine Hände über den weichen Stoff gleiten und dachte daran, wie lange er alleine geschlafen hatte, nur das Kleidungsstück im Arm. Als es schließlich Rachaels Geruch verloren hatte, hatte er es mit ihrem Parfüm besprüht.
    Das
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