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Sprechende Maenner

Sprechende Maenner

Titel: Sprechende Maenner
Autoren: Maxim Leo , Jochen-Martin Gutsch
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worden. Ohne Typen wie mich, wären die Menschen immer noch Nomaden. Der Segler reist seinen Träumen hinterher, der Siedler baut ein Haus. So ist das wohl.
    PS : Was wäre eine akzeptable Sehnsucht für einen 41-jährigen Mann wie mich?
    re:
    Verehrter Hausmeister der guten Laune, für mich ist Sehnsucht ein Antriebsmittel. Benzin für den Arsch. Es geht nicht um konkrete Dinge. Um ein Haus am Meer oder so was. Es geht auch nicht um Ziele. Ziele lassen sich realisieren. Ein Ziel wäre: Ich möchte Bürgermeister von Leipzig werden. Niemand sagt aber: Ich habe Sehnsucht danach, Bürgermeister von Leipzig zu werden. Ich schätze, es ist nicht nur ein semantischer Trick.
    Ich habe Sehnsucht nach Jugend, Maxim. Wenn mir jemand anbieten würde, noch mal 18 zu sein – ich würde zugreifen. (Ungern würde ich noch mal sechs sein. Aber wenn es nicht anders geht, okay …)
    Meine Jugendsehnsucht hat wenig mit körperlichen Dingen zu tun. Mit Angst vor dem Verfall, vor Rückenschmerzen, Haarausfall oder Erektionsproblemen. Dafür gibt es Ärzte und Pillen. Ich finde einfach, man kann in der Jugend von so vielen Dingen unglaublich berührt sein. Alles ist noch u ngebraucht, erfahrungslos. Frauen, Alkohol, Länder, Menschen, Spra chen, die Nacht, Musik, Bücher, Filme – alles neu. Dieses Gefühl hätte ich gern zurück.
    Ich bin einmal, mit 21, nach Amerika geflogen, zusammen mit Freunden. Wir blieben einen Monat, fuhren durch das Land. Meine erste große Reise. Ich war jeden Tag so unglaublich aufgeregt, so umgeworfen, so gierig. Ich habe das nie wieder erlebt. Es gab andere gute Reisen, aber alles nutzt sich ab irgendwann.
    Ich stelle mir vor, ich habe so einen Sack, in den ich Erlebtes reinstop fe. Dieser Sack ist mein Leben. Ich stopfe und stopfe. Womöglich sinnlos, das kann sein. Vielleicht ist da viel Quatsch drin, Sperrmüll. Dinge, die niemand braucht, und ich selbst eigentlich auch nicht. Aber ich werde unruhig, wenn ich nicht stopfen kann. Ich bin gar kein Entdecker, Maxim, wie du vermutest.
    Ich bin nur ein Stopfer.
    An der Liebe mag ich den Anfang. Der Geruch der Frau ist neu, ihre Gedanken, ihre Stimme unter Alkohol, ihr Gang, der Blick aus dem Fenster ihrer Wohnung. Ich habe nie verstanden, dass es Paare gibt, die schnell zusammenziehen wollen. Die dem Anfang schnell den Garaus machen.
    Was erlebe ich mit 39 noch zum ersten Mal? Ich habe alle gängigen, f ür mich interessanten Sexualpraktiken ausprobiert. Ich habe alle gängigen, für mich interessanten Alkoholräusche erlebt. Ich habe viele Obst-, Gemüse-, Käse-, Schokolade-, Kartoffel- und Brotsorten gegessen, ich habe in fast allen Meeren gebadet, diverse Arten von Liebe, Schmerz, Enttäuschung, Verlust, Euphorie, Regen, Hühnersuppe, Erfolg, Niederlage, Blockade, Angst, Musik, Jeans, Küssen und Morgen luft probiert. Ich lebe jetzt in den Jahren der Wiederholung.
    aw:
    Lieber Jochen, du würdest wirklich noch mal 18 Jahre alt sein wollen? Noch mal von vorne anfangen? Noch mal Abiturprüfung, noch mal Studentenpartys, noch mal erste Wohnung, noch mal Ravioli aus der Büchse, noch mal Hermann Hesse lesen? Vor allem noch mal relativ unwissend und naiv sein. Weil das ja zum Berührtsein dazugehört, von dem du sprichst.
    Du würdest dein jetziges, schon etwas benutztes, aber eben auch durch Erfolge und großartige Momente bereichertes Leben gegen ein recht leeres, noch mal neu zu füllendes Leben tauschen? Um dieses Neuwagengefühl zu haben, die ersten Spuren im Schnee, das unschuldige Entdecken? Das ist interessant.
    Gibt es ein Alter, in das ich gerne zurückreisen würde? Eigentlich nicht. Es gäbe immer etwas in meinem schon gelebten Leben, was mir zu sehr fehlen würde. Mit achtzehn wäre ich ohne Catherine. Ginge ich mehr als zehn Jahre zurück, wären meine Kinder nicht da. Ginge ich nur drei Jahre zurück, hätte ich nicht dieses schöne Haus auf dem Land, das mir viel bedeutet.
    Ich glaube, das alles ist mir wichtiger als der Zauber des ersten Mals. Aber vielleicht hänge ich ja auch nur an der Gewohnheit, an meinem Komfort, am Bekannten? Es würde mir Angst machen, noch mal ins gänzlich Unbekannte zu starten. Ich bewundere deinen Mut, wenn du das wirklich wagen würdest. Oder erscheint dir dein Leben als Tauschpfand gar nicht so wertvoll im Vergleich mit dem, was du er ringen kannst? Ich glaube, diese Tauschfrage ist
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