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Macabros 044: Mirakel - Herr im Geisterland

Macabros 044: Mirakel - Herr im Geisterland

Titel: Macabros 044: Mirakel - Herr im Geisterland
Autoren: Dan Shocker
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Als Donald McCasey an diesem Abend sein Geschäft
schloß, erblickte er den Mann auf der gegenüberliegenden
Straßenseite.
    Das wäre weiter nichts Besonderes gewesen. Aber in der
Haltung und im Blick dieses Mannes waren etwas, das McCasey schon
lange nicht mehr gesehen hatte – und das ihn stutzig machte.
    Er schluckte und preßte mehrmals die Augen zusammen, als
könne er nicht glauben, was und wen er dort drüben sah.
    »Hariett!« rief er heiser in den dunklen Ladenraum
hinter sich, wo eine vergrämte Endfünfzigerin die Theke
abwusch.
    »Ja, was ist denn?« klang mit unfreundlicher Stimme ihre
Frage. Donald McCaseys Frau hob nicht mal den Blick.
    »Da drüben – auf der anderen Straßenseite,
Hariett«, Donald McCaseys Stimme war belegt, er wirkte bleich
und verschüchtert. »Er lehnt an der Hauswand und starrt
herüber, er trägt einen altmodischen, dunklen Anzug, einen
Zweireiher. In der Rechten hält er einen Spazierstock, auf den
er sich lässig stützt…«
    »McCasey – du spinnst«, sagte sie respektlos, warf
das schmutzige Tuch in den kleinen Eimer, wusch und wrang es aus und
setzte ihre Arbeit fort, heftig den Kopf dabei schüttelnd.
»Du sprichst, als ob du Henry Fanigan da drüben sehen
würdest…«
    »Ich seh ihn dort stehen, Hariett!« behauptete der
Kaufmann.
    »Geh zum Arzt und laß sich untersuchen«, erwiderte
die Frau tonlos. »Du solltest anfangen, mal die Whiskyflaschen
zu zählen, die du in einer Woche verkonsumierst, McCasey.«
Sie lachte rauh. Sie nannte seit Jahren schon ihren Mann stets beim
Nachnamen, als würde es ihr schwerfallen, ihn mit Donald
anzureden.
    Hariett McCasey machte den Eindruck einer Frau, die von der Ehe
und vom Leben enttäuscht war. Tief eingegrabene Nasenfalten,
graues, stumpfes Haar und schmale, zusammengekniffene Lippen bewiesen
das. »Du hast es schon lange verlernt. Hast du schon mal
darüber nachgedacht, wie gut das Geschäft noch ging, als du
weniger getrunken hast?« fuhr sie vorwurfsvoll fort. »Du
hattest das beste Geschäft in ganz Blairgrownie, McCasey! Deine
Sauferei hat aber die Leute vergrault. Du hast sie durch dein
Verhalten und vor allem durch deine dummen Bemerkungen vor den Kopf
gestoßen. Das lassen sich die Kunden nicht gefallen. Wenn Mrs.
Marklin kommt, dann meckerst du über ihre Frisur, kauft der alte
Henderson pfundweise Salatköpfe und Spinat, dann grinst du und
erkundigst dich spitz, ob er für ärmere Tage Vorsorgen
will. Dabei weißt du ganz genau, daß Henderson
Rohköstler ist. Mrs. Gilmore dürfte wohl am Dienstag auch
das letzte Mal hier im Geschäft gewesen sein, McCasey. Heute
haben wir Freitag. Es war unverschämt von dir, leise vor dich
hinzulachen, als sie drei Rettiche mitnahm und dabei zu fragen, ob
sie wieder einen Freund hätte… Das geht zu weit, McCasey.
Du ruinierst deinen Laden, und uns machst du unmöglich. Ich
schäme mich noch über die Straße zu gehen
und…«
    »Hariett!« Donald McCasey fiel seiner Frau ins Wort, und
seine Stimme hallte dröhnend durch das kleine Ladenlokal.
»Halt deinen Mund! Ich hab’ dich nicht gefragt, wie
Henderson seine Rohkostsäfte zubereitet, und es interessiert
mich auch nicht, warum Mrs. Gilmore plötzlich wieder
Rettichsalat auf den Tisch bringt…«
    »Am Dienstag hat es dich noch interessiert!«
    »Jetzt interessiert es mich nicht mehr! Komm her! Wirf einen
Blick über die Straße und sag’ mir, ob du siehst, was
ich sehe.« Seine Stimme klang fordernd und ängstlich zur
gleichen Zeit.
    Er knallte die Kiste mit den Apfelsinen und Grapefruits auf die
Ladentheke, daß die Früchte in die Höhe
hüpften.
    »Ich sehe – James Muligan, Hariett.« Seine Stimme
überschlug sich, und er fuhr sich mit einer hektischen Bewegung
durch sein dichtes, aber graues Haar.
    »Ich weiß. Du hast ihn mir ja genau genug
beschrieben…«
    Donald McCasey warf nochmal einen Blick aus fiebrig
glänzenden Augen durch das nicht ganz saubere Schaufenster, in
dem er Konservendosen und Spirituosen aufgestellt hatte.
    Der Mann in dem gestreiften Anzug stand noch immer in
unveränderter Stellung an der Hauswand gegenüber, hob jetzt
die Rechte und grüßte mit dem Spazierstock in das
halbdunkle Geschäft, in dem Hariett und Donald McCasey sich
aufhielten.
    »Seine Geste… Hariett…«
    »Du spinnst, McCasey!« seufzt die verhärmt
aussehende Frau. »Du bist reif für die Trinkerheilanstalt
und für den Psychiater. Du hast’s geschafft… Bei
anderthalb Liter Whisky pro Tag ist das ja auch
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