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Sprechende Maenner

Sprechende Maenner

Titel: Sprechende Maenner
Autoren: Maxim Leo , Jochen-Martin Gutsch
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ein wunderbares Gleichnis. Es bringt alles auf den Punkt. Mein Leben, in dem ich viel gesammelt, errichtet und eingerichtet habe, legt mich fest. Macht es mir fast unmöglich, noch mal neu zu beginnen. Und du mit deinem leichten Zeltleben, du könntest verschwinden.
    re:
    Maxim, irgendwie dachte ich, da gibt es noch mehr. Enttäuschend, eigentlich.
    aw:
    Was ist enttäuschend?
    re:
    Na ja. Wir sind zwei Männer um die vierzig, und das Ergebnis unserer Sehnsuchtssuche ist, dass du eigentlich keine Sehnsucht mehr hast und ich gern noch mal 18 wäre. Wenn man Sehnsucht als Indikator nehmen will für das Verlangen nach Leben, wenn Sehnsucht also Durst ist, Hunger ist, Neugier ist, dann bist du, Maxim, schon satt. Und ich habe zwar noch Appetit, glaube aber, dass die Vergangenheit besser schmeckt als die Zukunft.
    aw:
    Was hast du erwartet, Jochen? Zwei 40-jährige Mittelstandsdeutsche, deren Zungen noch immer bis auf den Boden hängen vor brennendem Lebensdurst und ungestillter Lebensneugier?
    re:
    Ich bin erst 39, Maxim. Warum ist dir Sehnsucht eigentlich unheimlich?
    aw:
    Habe ich das gesagt?
    re:
    Ja, vorhin. Du hast geschrieben: »Sehnsucht ist mir als Gefühl eher unheimlich.«
    aw:
    Kann sein. Sehnsucht käme mir vor wie eine Kritik. An mir selbst. An meinem Leben.
    re:
    Was war deine letzte Sehnsucht, an die du dich erinnern kannst, Maxim?
    aw:
    Mich auf jemanden einlassen können. Bei jemandem anzukommen.
    re:
    Das heißt, du bist seit 17 Jahren sehnsuchtslos. Damals lerntest du Catherine kennen.
    aw:
    Ja, kann sein. Ich war mal bei einem Mann, der Tarotkarten legt und einem so ein bisschen in die Seele schaut. Ich bin skeptisch mit solchen Sachen, aber der Typ war wirklich gut. Er sagte einen Satz, den ich mir gemerkt habe: »Du hast die Gabe, das Schöne zu finden, weil du nur das Schöne siehst.« Das beschreibt mich, glaube ich, ganz gut. Das, was fehlt, fehlen könnte, sehe ich nicht. Will ich nicht sehen.
    re:
    Ich glaube, du hast doch eine Sehnsucht, Maxim. Danach, dass alles so bleibt. Nach Unveränderlichkeit. Du würdest dich ganz gerne an die Turmuhr hängen und die Zeit anhalten. Was du aber nicht kannst, nicht schaffst. Deshalb bleibt es eine Sehnsucht.
    aw:
    Könnte sein, dass du recht hast. Ich spüre schnell, was mir guttut. Und das mache ich dann immer und immer wieder. Veränderungen mag ich nicht, es sei denn, sie optimieren mein gutes Gefühl. Das ist der Grund, warum ich im Sommer immer an die Badestelle fahre, an die ich schon als Kind mit meinen Eltern gefahren bin. Warum ich mir ein altes Haus gekauft habe, warum ich Freunde, die mir einmal nahe sind, nie wieder loslasse. Warum ich beim Sex nur ungern die Stellung wechsele. Warum ich immer nur den einen Weg durch die Felder laufe. Warum ich seit siebzehn Jahren mit Catherine zusammenlebe. Warum ich zwei Kinder habe. Ich sitze gern in meinem alten Haus auf meinem alten Stuhl und spiele auf der alten Gitarre, die ich zu meinem sechzehnten Geburtstag geschenkt bekommen habe, die alten Lieder. Dabei trinke ich einen alten Whiskey. Und Ruhe kehrt in mich ein.
    re:
    Lieber Maxim, ich möchte noch mal 18 sein. Noch mal von vorne anfangen. Die Zeit zurückdrehen. Und du, Maxim, willst sie anhalten. Für immer. Wir hängen also beide an der Turmuhr. Du hältst den Zeiger fest. Und ich will ihn bewegen.
    aw:
    Und beide haben wir keine Chance.
    re:
    Nein, vermutlich nicht.
    aw:
    Was machen wir jetzt?
    re:
    Ich weiß nicht. Wir könnten über Hoffnung reden. Ich glaube, Hoffnung wurde erfunden, um die Sehnsucht erträglich zu machen. Aber es ist so ein schöner warmer Tag heute. So viel Frühling, so viel Anfang. Die Frauen laufen plötzlich so leicht über den Asphalt, ohne schwere Schuhe, ohne Winterfell. Abends sitzen sie in den Cafés, trinken weißen Wein und spüren die Blicke der Männer. Ich geh jetzt mal runter auf die Straße.
    aw:
    Kommst du noch mal zurück?
    re:
    Ja. Morgen.
    aw:
    Okay, bis morgen dann.
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