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Splitterherz

Titel: Splitterherz
Autoren: Bettina Belitz
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bläulich, dies­mal hinten am Waldrand, und wieder gelang es mir nicht, mich in Bewegung zu setzen. Was zum Teufel war das nur? Ich starrte mit aufgerissenen Augen über die Wasserfläche und stockte. Nein. Das konnte nicht sein. Das gab es nicht. Nein, Elisabeth, das siehst du nicht. Du bist überreizt und müde.
    Doch meine Augen wollten sich nicht von der finsteren Silhouette lösen, die sich zwischen den Baumgerippen aus dem Morast er­hoben hatte. Die Flämmchen schossen ihr entgegen und ließen sie nachtblau aufschimmern, bevor sich vollkommene Dunkelheit über den Sumpf senkte und den Schemen verschluckte. Ein jähes Schaudern ergriff mich und meine Zähne schlugen hart aufeinander, ein Geräusch wie das Klappern von morschen Knochen.
    Dann wurde es so still, dass ich die Gasbläschen im Schlamm blubbern und gären hören konnte. Die Kröten waren verstummt. Da war nur noch das beständige, glucksende Flüstern des Moores, das sich modrig in meinen Ohren festsetzte.
    Ich zog meine versinkenden Füße aus dem gurgelnden Unter­grund. Mit zwei staksigen Schritten rückwärts fand ich den Weg wieder. Der Schotter grub sich beruhigend scharfkantig in die dün­nen Gummisohlen meiner Stiefeletten. Ich warf nicht einen ein­zigen Blick zurück.
    Erst als ich mit klammen Fingern und bis auf die Haut durchnässt die Eingangstür aufschloss und in die Wärme des Hauses eintauch­te, erlaubte ich mir, jenes gespenstische Bild in meinen Kopf zu­rückzuholen, das zwischen den zuckenden blauen Irrlichtern des Moores aufgetaucht war. Nur ein Kontrast, mattes Schwarz vor dunstigem Grau - eine Gestalt auf einem Pferd, nicht kopflos, aber zumindest lautlos, und für meinen Geschmack viel zu geisterhaft.
    Ich lehnte mich an die rustikal verputzte Wand des Hausflures. Er trug bereits Mamas Spuren und wirkte so vertraut und verlässlich, dass ich einen Moment lang nicht wusste, ob ich lachen oder weinen sollte. Überall hingen Bilder aus dem Kölner Haus, die schönen bunten Gemälde, die Papa einst in der Karibik gekauft hatte. Da- zwischen hatte Mama Kerzenhalter, angelaufene Spiegel und all die merkwürdigen Reisemitbringsel an die Wand genagelt, die sich im Laufe der Jahre angesammelt hatten. Sogar der struppige norwegi­sche Troll, den ich schon in Köln nicht gemocht hatte, starrte mir aus dem Winkel über den Garderobenhaken entgegen. Und doch - alles sah vertrauter aus, als ich dachte. Das war schön und schmerz­lich zugleich. Wenn sie das Haus doch wieder so einrichteten wie in Köln, warum hatten wir dann nicht gleich dort bleiben können? Es sah aus wie Köln. Aber es war nicht Köln. Es war Dunkelhausen.
    Ich zog mir den nassen Mantel von den steif gefrorenen Schultern, knüllte ihn in die Ecke und zerrte mir die über und über schlammverkrusteten Stiefel von den Füßen.
    »Bin wieder da!«, rief ich in Richtung Wohnzimmer, wo ich Wein­gläser aneinanderklirren hörte. Da saßen sie jetzt und freuten sich an ihrem neuen, tollen Leben, während ihre Tochter vor lauter Stress und Kummer schon Halluzinationen bekam. Ich kam mir entrückt vor - und gleichzeitig absolut hysterisch.
    Ein Reiter in der Nacht, ja, natürlich. Ich war definitiv zu alt, um mich von Papas Spukgeschichten beeindrucken zu lassen. Wie wür­de Papa das nennen, was mir widerfahren war?, fragte ich mich spöttisch. Landeierpsychose?
    Doch als ich mir lustlos ein Käsebrötchen einverleibt, mir die Käl­te aus den Knochen geduscht und mich in meinem Bett vergraben hatte, tauchte die Vision noch einmal auf und zog stumm vor mei­nen geschlossenen Lidern vorüber. Tanzende blaue Lichter, schwar­zes Wasser und die wehende Mähne eines auf der Stelle tretenden Pferdes.
    Ich hatte scheußliche Angst vor Pferden.
    Ich war schon fast eingeschlafen, als mein Gehirn mich daran er­innerte, dass heute Abend kein einziger Lufthauch gegangen war. Tagsüber - ja, da war es windig gewesen. Nachts nicht. Aber die
    Mähne des Pferdes hatte sich bewegt. Wie dünne Schlangen, die sich ins schwarze Nichts kringelten.
    Es hätte mich beunruhigen sollen. Doch ich war dankbar für den endgültigen Beweis dafür, dass ich etwas gesehen hatte, was es nicht gab.
    Es gab keinen schwarzen Reiter. Ob mit oder ohne Kopf.
    Es gab keinen Reiter.
    Zufrieden drehte ich mich auf die andere Seite. Und meine Traumbilder brachten mich zurück in die Stadt.
     

    Grossstadtpflänzchen
     
    »Iss was, Ellie«, sagte Mama ohne rechten Nachdruck. Sie saß über­nächtigt im
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