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Splitterherz

Titel: Splitterherz
Autoren: Bettina Belitz
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In diesem Kaff hier gab es nichts. Gar nichts. Nicht einmal eine Bäckerei. Knapp 400 Seelen, davon wahrscheinlich gut die Hälfte ein Fall fürs Altersheim. Und den Na­men des Kaffs wollte ich nicht einmal aussprechen. Kaulenfeld. Das klang nach geschlachteten Tieren.
    Mama hatte Papas Idee sofort gefallen. Sie wirkte fast erleichtert, nachdem er den Kaufvertrag unterschrieben hatte. Und daran hatte sich bis jetzt nichts geändert. Die beiden benahmen sich seit Wo­chen wie Teenager auf der ersten Klassenfahrt. Ich hingegen hatte mich immer öfter in mein Zimmer verkrochen und geheult.
    Aber jetzt wollte Papa nicht mehr zulassen, dass ich mich ver­kroch. Mit einem Auge lugte ich am Kissen vorbei aus dem Fenster. Draußen war es noch hell. Zwar wurde es bereits dämmrig, das Grau wich langsam einem bläulichen Anthrazit, doch man würde mich noch sehen und als fremd erkennen und als exotisch und großstädtisch beurteilen können. Ich wollte mich aber nicht sehen und beurteilen lassen. Von nichts und niemandem.
    Papa seufzte und zog eine Grimasse. Die Stirnlocke unter seinem
    Wirbel fiel zwischen seine Augenbrauen und zeichnete ein dunkles S auf seine Stirn. Er hatte einfach unverschämt schöne Haare für einen Mann, befand ich zum hundertsten Mal. Es war ungerecht. Frauen sollten solche Haare haben. Ich sollte sie haben.
    »Elisabeth, ich habe keine Lust zu diskutieren. Du hast uns in all den Wochen kein einziges Mal beim Renovieren geholfen - gut, das haben wir akzeptiert. Dass du dich heute wieder den ganzen Tag ins Bett legst, obwohl wir alle Hände voll zu tun haben - von mir aus. Aber jetzt bitten wir dich nur, die Begrüßungskarten bei unseren Nachbarn einzuwerfen. Und ich weiß nicht, was -«
    »Ich mache es ja!«, rief ich giftig und riss das Kissen herunter. »Ich habe nicht behauptet, dass ich mich weigere. Ich will mich nur noch ein bisschen - ausruhen.«
    »Ausruhen«, wiederholte Papa. Sein linker Mundwinkel zuckte amüsiert. »Wovon?«
    »In einer Stunde«, ignorierte ich seine Frage stur. Ich drehte den Kopf weg, weil mich sein Blick zu durchleuchten schien. Er ahnte sehr wohl, dass man kaum ausgeruhter sein konnte, als ich es in diesem Moment war - so ausgeruht, dass es in meinen Beinen ner­vös kribbelte. Ich hatte schließlich nicht nur den heutigen Nachmit­tag, sondern das gesamte Wochenende im Bett verbracht. Eben hatte ich lange und geduldig warten müssen, bis der Schlaf sich meiner erbarmte. Mir fehlte die Bettschwere. Mein Kopf und meine Gedanken fühlten sich müde an, aber mein Körper war es leid, nur herumzuliegen.
    Hoffentlich hatte ich richtig geschätzt und in einer Stunde war es tatsächlich dunkel. Ich wollte so unbeobachtet wie möglich durchs Dorf schleichen. Eine Fremde fiel hier auf wie ein bunter Hund. Am liebsten wäre es mir gewesen, wenn mich dieses vermaledeite letzte Jahr vor dem Abi überhaupt niemand zu Gesicht bekommen wür­de.
    Aber Mama und Papa hatten es sich offenbar in den Kopf gesetzt, zu den Anwohnern mindestens verwandtschaftliche Beziehungen aufzubauen. Als ob meine Eltern sich jemals ernsthaft für ihre Nach­barn interessiert hätten oder gar umgekehrt. Da hätte Jesus persön­lich nebenan wohnen können und Papa hätte doch nie mehr ge­macht, als vielleicht mal über den Gartenzaun zu winken. Doch die Stimmung war eisig genug und ich hatte keine Lust, mit meinen Eltern über ihren nicht vorhandenen Freundeskreis zu diskutieren. Gut, Mama hatte einen, zumindest telefonierte sie mit Freundinnen und schrieb ihnen oder besuchte sie hin und wieder. Aber zu Ge­sicht bekamen wir sie trotzdem fast nie. Die beiden sind sich eben selbst genug, dachte ich in einem plötzlichen Anflug von Neid und schnaubte kurz.
    »Elisa.« Papas Stimme klang nicht mehr ganz so aufgeräumt und freundlich. »Überspann den Bogen nicht.« Der leichte Luftzug auf meinem Gesicht verriet mir, dass er schon wieder mit den Briefkuverts wedelte, aber ich drehte mich nicht zu ihm um. Die Gefahr war einfach zu groß, dass er mich überredete, sofort aufzubrechen. Schon vorhin hatten sich an den Nachbarfenstern die Vorhänge bewegt, als wir aus dem Auto gestiegen waren und ich frierend im Wind stehen musste, bis Mama endlich den richtigen Schlüssel he­rausgekramt hatte.
    »Na gut. Eine Stunde. Von mir aus«, gab Papa sich geschlagen, ließ die Kuverts auf mein Bett fallen und verschwand.
    Mit polterndem Herzen blieb ich liegen und versuchte, an nichts zu denken, während der
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