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Splitterherz

Titel: Splitterherz
Autoren: Bettina Belitz
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neuen Klassenkameraden? Köln schien mir momentan das Paradies zu sein, aber auch dort war es anfangs alles andere als leicht gewesen. Ich hatte irgendwann kapiert, wie man sich anpasst - was man sa­gen und anziehen muss und welche Interessen cool sind. Worüber man sich aufregen darf und worüber besser nicht. Und dass man sich über gute Noten lieber nicht freut und sie mit einem »Pffft« abtut. Am besten noch sagt, dass man gespickt hat und eigentlich gar nichts kann.
    »Sei einfach du selbst«, hatte Mama zum Abschied gesagt. Ich wusste allerdings nicht genau, wie das aussah: ich selbst sein. Ich wusste ja nicht einmal, was ich anziehen sollte. Na, einen Vorteil würde der Umzug aufs Land wenigstens haben, dachte ich grimmig. Hier würde mich hoffentlich niemand Lassie taufen wie in Köln. Oh, wie hatte ich das gehasst. Ich war doch keine Hündin.
    »Schau, hier geht’s zur Klinik«, riss Papa mich aus meinen düste­ren Erinnerungen. »Und da zur Schule.«
    »Schulzentrum. Psychiatrische Klinik. Schützenverein«, stand auf dem Schild an der Straßenkreuzung. Eine gute Kombination, dach­te ich zynisch.
    »Vielleicht kannst du dich ja in einem Sportverein anmelden«, sagte Papa beiläufig, als er zum Schulzentrum abbog.
    »Du möchtest, dass ich Sport mache?«, erwiderte ich belustigt.
    Papa wusste genau, dass ich seit meinem achten Lebensjahr circa siebzehn verschiedene Sportarten mit beschämend geringem Erfolg angefangen und wieder aufgegeben hatte. Bis ich schließlich gar nichts mehr gemacht hatte. Dabei war es nicht so, dass es mir grund­sätzlich an Talent fehlte. Ich war nur viel zu sehr damit beschäftigt gewesen, mich nicht zu fürchten, den Trainer nicht zu verärgern und auf meine Mitspieler zu achten - und irgendwann machte ich einen Fehler nach dem anderen. An Spott und Häme hatte es nicht gemangelt.
    »Warum denn nicht?«, fragte Papa. »Du kannst dich ja mal in der Schule umhören, was deine Klassenkameraden machen. So, nun raus mit dir. Melde dich im Sekretariat - die wissen Bescheid. Viel Glück, Kleine.«
    »Tschö, Paps.« Ich schlüpfte aus der Tür und war mir kurz sicher, dass meine Beine unter mir nachgeben würden. Ich sah mir den überraschend modernen Bau an. Hier also würde ich mein Abitur machen - und das bedeutete wiederum, dass ich studieren durfte, und da es hier mit Sicherheit keine Universitäten gab, wäre das die Freikarte für die Flucht in eine Großstadt. Vielleicht nach Hamburg wie mein Bruder Paul, mit dem ich mich immerzu gezankt hatte und den ich jetzt so schrecklich vermisste. Er hatte es gut. Er war 23 und konnte machen, was er wollte. Und ich? Mitgefangen, mit­gehangen. Ich hatte nicht einmal Hoffnung, dass sich hier etwas ändern und Paul uns besuchen kommen würde. Er hatte es in Köln nicht getan, warum sollte er es jetzt tun? Wie immer wurde meine Kehle eng, wenn ich an meinen Bruder dachte. Sich als 17-Jähriger mit seinen Eltern verkrachen - gut. Das war bestimmt nicht unge­wöhnlich. Aber die eigene Schwester gleich mit vergessen? Ja, wir hatten uns gestritten. Aber so heftig nun auch wieder nicht. Und wenn er mir mal schrieb, dann hörte er sich an wie ein Fremder. Als hätte ihn jemand mit vorgehaltener Waffe dazu gezwungen, sich bei mir zu melden.
    Niemand beachtete mich, als ich durch das Foyer lief und nach dem Sekretariat Ausschau hielt. Ah. Da war es. Mit weichen Knien lehnte ich mich an den Tresen.
    »Elisabeth ...« Meine Stimme versagte. Ich räusperte mich und versuchte es noch einmal. »Elisabeth Sturm. Ich bin neu - in der 12. LK Bio, Chemie und Französisch.«
    »Wow. Das ist echt krank«, hörte ich eine unverschämt freche Stimme neben mir. Ich blickte in zwei haselnussbraune Augen über einer krausen Nase, die einem Jungen in meinem Alter gehörte. Sei­ne Jeans hing fast in den Kniekehlen. Anscheinend war die Bot­schaft, dass nun wieder engere Hosen angesagt waren, noch nicht bis in den Wald vorgedrungen. »Bio, Chemie und Französisch«, sag­te er grinsend und musterte mich amüsiert.
    »Man kann deine Unterhose sehen«, entfuhr es mir und er fing schallend an zu lachen. Die Sekretärin schaute entsetzt zu mir hoch. Mir stieg die Röte ins Gesicht. Verdammt. Genau das war einer der
    Gründe gewesen, weshalb ich in Köln anfangs nicht mitspielen durfte. Mein unbeherrschtes Mundwerk.
    »Fräulein Sturm, das ist Benni, Ihr Tutor, er begleitet Sie in Ihre Klasse und zeigt Ihnen alles. Er ist Vertrauensschüler und Schul­sprecher«,
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