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Splitterherz

Titel: Splitterherz
Autoren: Bettina Belitz
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einem Edeka in Richtung Zen­trum. Die Bäume der Allee spiegelten sich in den Pfützen des Schot­terweges, der zur Bushaltestelle führte, und ich machte große Bogen, um meine mühsam geputzten Stiefel nicht ein zweites Mal zu rui­nieren.
    Es roch nach Heu und Mist und Katzenpipi. Überhaupt roch es hier ganz anders als in Köln - es roch besser, musste ich zugeben. Den Gestank der Autos hatte ich nie gemocht. Großstadtpflanze ... Bennis Bemerkung ärgerte mich immer noch. Wenn der wüsste. Ich war keine Großstadtpflanze. Ich war im Odenwald aufgewachsen, in einem kleinen, ländlichen Vorort von Heidelberg. Erst als ich zehn war, zogen meine Eltern nach Köln, weil Papa in der City eine Praxis übernehmen konnte. Aber damals sollte ich sowieso aufs Gymnasium gehen - und ob Köln oder Heidelberg, das spielte keine große Rolle.
    Okay, Ellie, sei ehrlich, sagte ich streng zu mir selbst, als ich mich dem Bushäuschen näherte und immer zögerlicher wurde. Es hatte eine Rolle gespielt. Es war höllisch schwer gewesen, auch damals. Ich musste fünf Jahre lang kämpfen, um mich an Köln zu gewöh­nen, und dann durfte ich es karge zwei Jahre genießen. Alles um­sonst.
    Vorsichtig lugte ich um die Ecke in das schäbige, bekritzelte In­nere des Unterstands. Gut. Niemand hier. Trotzdem wollte ich fluchtbereit bleiben und mich nicht hinsetzen. Doch die träge Stille der Umgebung wirkte beruhigend auf mich. Die langen, nicht en­den wollenden Schulstunden verblassten allmählich in meinen Ge­danken.
    In einem erneuten Angriff überfiel die Müdigkeit mich so gna­denlos, dass ich meinen Rücken kaum mehr gerade halten konnte. Ich ließ mich widerstrebend auf einen der drei schmutzig oran­gefarbenen Plastiksitze sinken und rieb mir die Schläfen. Span­nungskopfschmerzen, diagnostizierte ich aus alter Gewohnheit. Hervorgerufen durch Angst, Stress, Anspannung. Ich vermisste mein japanisches Heilpflanzenöl und drückte meine Stirn gegen das kühle Metall der Sitzhalterung.
    Dann merkte ich in meinem müden Gedankenkarussell, dass ich beobachtet wurde. Es gelang mir nicht sofort, meine Augen zu öff­nen. Es war wie in einem dieser Träume, aus denen man aufwachen möchte, nur um immer wieder in einen neuen, noch schreckliche­ren Traum zu rutschen, wenn es einem endlich glückt, die Bilder abzuschütteln. Aber selbst als ich es nach einem kleinen, wütenden
    Gewaltakt schaffte, brauchte ich mehrere Sekunden, um ein klares Blickfeld zu bekommen. Ich registrierte nur noch, dass ein riesiges schwarzes Auto um die Ecke bog. Gehört hatte ich es nicht - war ich in einen so tiefen Schlaf gesunken, mitten am Tag?
    Das unangenehme Gefühl, beobachtet worden zu sein, ließ mich nicht los, obwohl sich nach wie vor kein Mensch in der Nähe be­fand.
    Gingen jetzt schon die Nerven mit mir durch, nach einem jäm­merlichen Tag an der neuen Schule in der neuen Heimat? Ich schnaubte. Heimat... Es würde nie meine Heimat werden.
    Eine schleimige Sonne drang mühsam durch die dunstigen, tief hängenden Wolken. Unter den Achseln brach mir der Schweiß aus. Unruhig rutschte ich auf dem harten Plastiksitz herum. Ich war viel zu dick angezogen. Es war warm geworden, geradezu schwül - so schwül, dass ich das Gefühl hatte, von Abertausend winzigen Was­sertropfen überzogen zu sein. Verstohlen schnupperte ich an mei­nem Pulli. Nein, kein Schweißgeruch. Mein Deo hatte sein Verspre­chen gehalten.
    Wo blieb der verdammte Bus? Oder fuhr er nur, wenn hier mehr als eine einsame Schülerin wartete? Ich stand wieder auf und lief nervös auf und ab. Das passte ja. Ein grauenhafter erster Schultag und dann blieb auch noch jenes Gefährt weg, das mich in den ein­zigen sicheren Hafen bringen konnte - mein viel zu großes, mit viel zu vielen Fenstern ausgestattetes Dachzimmer. Ich sehnte mich da­nach, mich auf mein Bett zu legen und einfach nur an die Decke oder in den Himmel zu starren.
    Ein summendes Motorengeräusch ließ mich herumfahren. Schwere, dicke Reifen knirschten auf dem Schotter der Haltebucht, als das Fahrzeug schlagartig bremste. Es war natürlich nicht der Bus. Sondern, wenn mich nicht alles täuschte, das schwarze Auto von vorhin. Durch die verdunkelten Scheiben konnte ich niemanden er­kennen, aber ich sah, wie sich die Fahrertür langsam öffnete und eine Stiefelspitze herausschob. Zornig stürzte ich auf das wuchtige Gefährt zu. Ich war plötzlich unerklärlich wütend.
    »Hallo? Wissen Sie, wann dieser verfluchte Bus
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