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Splitterherz

Titel: Splitterherz
Autoren: Bettina Belitz
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sagte die Sekretärin und machte keinen Hehl aus ihrer Missbilligung mir gegenüber. »Und er ist der Sohn des Bürgermeis­ters«, fügte sie bedeutungsvoll hinzu.
    »Na dann«, sagte ich spröde und wandte mich ihm zu. »Bitte mach es kurz. Ich wollte hier nie hin, niemand wird mich mögen, ich erledige einfach nur mein Abitur.«
    Meinte Mama etwa das mit »Sei einfach du selbst«? War das ich? Wenn ja, dann war es eine verdammt schlechte Idee, ich selbst zu sein und nichts zu spielen. Danke, Mama. Benni behielt sein Grin­sen, doch seine Augen wurden ernster.
    »Du bist die aus Köln, oder?«
    »Ja.«
    Er schleuste mich durch die Gänge und wich geschickt den uns entgegenstürmenden Unterstufenschülern aus.
    »Ich kann dir nur den Rat geben, nicht zu sehr die Großstadt­pflanze rauszuhängen. Das mögen die hier gar nicht.«
    »Das eben war keine Großstadtpflanze«, blaffte ich ihn an. »Das war pure Verzweiflung.«
    »Du meinst also, wir leben hier alle in nachtschwarzer Verzweif­lung? Tun wir nicht. Ich jedenfalls nicht.«
    Offenbar hatte ich ihn beleidigt.
    »So hab ich das nicht gemeint. Ich dachte nur, dass ich - ach, egal.« Ich spürte schon wieder die Tränen hinter meinen Augen­lidern und blinzelte hektisch. Ich hatte es vermasselt, in den ersten drei Minuten. Respekt.
    »Hier ist dein Stundenplan. Und hier der Saal für deine erste Che­mieblockstunde heute Morgen.« Ich lugte vorsichtig in einen Unterrichtsraum, in dem fast nur Jungs saßen und mich neugierig an­schauten. Ich schreckte automatisch zurück.
    »Halt dich am besten anfangs ein bisschen zurück. Hier kommen die Leute auf einen zu. Du musst nichts dafür tun«, sagte Benni lei­se.
    »Du bist also Experte für das Landleben, was?«, fragte ich säuer­lich. Es klingelte.
    »So ähnlich«, antwortete er, doch sein Grinsen war verschwun­den.
    »Dann kannst du mir bestimmt sagen, ob nachts kopflose schwar­ze Reiter durch das Dickicht brechen«, platzte ich heraus. Ellie, was tust du da nur?, fragte ich mich stumm. Benni sah mich ratlos an.
    »Ja, natürlich, jeden Abend mindestens einer, und wenn du nicht deinen Teller leer isst, holen sie dich und vergraben dich im Wald«, antwortete er ein wenig mitleidig. Ich fühlte mich hundeelend, als ich in den Saal schlich und mich in eine freie Zweierbank setzte.
    »Hi«, sagte ich mit brüchiger Stimme in Richtung der gaffenden Jungs und schlug die Augen nieder. Ich wollte niemandem ins Ge­sicht sehen. Damit sie mich nicht sahen. Wie am Abend zuvor. Noch nie hatte ich mich so über die Ankunft eines Lehrers gefreut wie an diesem Morgen.
    Nach der sechsten Stunde war ich unerträglich müde. Ich hätte auf der Stelle einschlafen können. Der Unterricht selbst war mir leichtgefallen. Das war nichts Neues. Schon immer war das so gewe­sen, seit der Grundschule. Doch wenn ich meinen Kopf zu schnell hob, wurde mir schwindlig, und ständig drohten mir die Augen zu­zufallen.
    In der Pause war Benni noch einmal zu mir gekommen und hatte mir den Weg zum Schulkiosk gezeigt. Er war freundlich gewesen, aber distanziert. Ich hätte mich gerne bei ihm entschuldigt, doch ich fand weder den Mut noch die richtigen Worte.
    »Gibt es hier irgendwo ein ruhiges Plätzchen, wo man mal allein sein kann?«, fragte ich ihn schließlich.
    »Hm. Eigentlich nicht. Wozu auch? Ist dir schlecht? Dann kannst du zum Hausmeister ins Zimmer, da ist eine Liege.«
    »Nein, mir ist nicht schlecht. Ich - ist nicht wichtig, vergiss es«, sagte ich und blieb tapfer und sehr einsam zwischen den schwatzen­den Grüppchen im Hof stehen. Vermutlich hatte sich spätestens jetzt herumgesprochen, dass ich den Sohn des Bürgermeisters, Schulsprecher und Vertrauensschüler und damit auch das ganze städtische Dorf beleidigt hatte, und ich würde fortan sowieso alleine mein Dasein fristen. Ob ich nun ein ruhiges Plätzchen dafür fand oder nicht.
    Aber jetzt war der erste Tag geschafft und schlimmer konnte es kaum kommen. Mit schweren Schritten schlurfte ich zur Bushalte­stelle. Mein Handy hatte wieder Empfang, ausgerechnet in der Schule, wo strengstes Handyverbot herrschte. Aber es war keine SMS für mich eingetrudelt, nicht einmal von Nicole und Jenny.
    Der nächste Bus sollte in einer halben Stunde fahren - genug Zeit für mich, um mir die nähere Umgebung der Schule anzusehen. Doch da war nichts außer einem schmuddeligen Bauernhof mit schwarz-weiß gefleckten Rindern auf der Weide und wieder einmal Wiesen und Feldern und Wald. Und
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