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Splitterherz

Titel: Splitterherz
Autoren: Bettina Belitz
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entgegenmarschiert bist ... Es hat Kraft aus mir gezogen, aber es hat mich auch glücklich gemacht.«
    »Dann hast du eine sehr merkwürdige Art, das zu zeigen«, warf ich ein. »Dabei hat meine Tarnung funktioniert. Sie hat mich nicht bemerkt.«
    »Irgendwann wäre es geschehen, glaub mir. Und stell dir vor, die Halluzinogene hätten schon im Wald gewirkt... Dass sie uns beide bekommt - nein, das habe ich ihr nicht gegönnt.« Er sah mich ernst an. »Nur - das hier ist keine Lösung.«
    Ich schob diesen Satz weit weg. Ich wollte ihn nicht wahrhaben.
    »Tja. Nun bist du also doch nicht tot. Ätsch.«
    Colin grinste schwach und schüttelte traurig den Kopf. Ohne Vor-
    Warnung überwältigte mich plötzlich rasende Eifersucht. Ich löste mich von ihm, stand schwankend auf und blitzte ihn wütend an. Colin blickte gelassen zurück.
    »Verdammt, Colin, wie konntest du so eine Frau an dich heran­lassen? Du warst jung und schön und sie - sie ist einfach nur ekel­haft! Ich hatte die ganze Zeit gedacht, sie habe ein Gesicht wie ein Model, aber ...« Hilflos brach ich ab. Ich verstand es immer noch nicht.
    »Wenn sie tut, was sie tut - sich in die Seele verbeißt und einen glauben macht, sie ist deine Erlösung, ist sie wunderschön. Sie ist eine Verheißung. Aber in dem Moment, in dem ich begriffen hatte, was mit mir passieren sollte, habe ich ihr wirkliches Gesicht zu se­hen bekommen. Und du hast recht. Sie ist eine widerwärtige Vet­tel.«
    Ich konnte nicht mehr stehen. Ich ließ mich wieder auf Colins Schoß nieder und lehnte meine Wange an seine kühle Brust, um einen klaren Kopf zu bewahren. Doch schon begannen meine Trä­nen an Wirkung zu verlieren. Das Rauschen in seinem Körper wurde schriller und nervöser. Sein Hunger kehrte zurück. Und mit ihm das Grauen, das immer wieder in mir aufwallte, wenn ich mich zu nah an Colins Körper presste. Er fing an, gefährlich zu werden.
    »Die Ratten hier sind nicht sehr nahrhaft, Ellie«, sagte er bitter. »Einfältige, gierige Träume - Fortpflanzung und Fressen, mehr nicht. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch ertrage. Ich brauche den offenen Himmel über mir, die freie Natur. Ich brauche die Nacht. Und ich brauche mein Pferd.«
    Wieder trug der Wind das ferne Wolfsheulen zu uns herüber. Un­willkürlich zerrte Colin an den Fesseln. Ich sah, wie sie sich tief in seine Haut schnitten. Blaues Blut sickerte seine Finger entlang und tropfte von den spitz zulaufenden messerscharfen Nägeln.
    Colins Stimme wurde tiefer und grollender, als er weiterredete. »Wenn ich Louis nicht bei mir habe und großen Hunger verspüre, wird der Mahr in mir immer stärker. Das Böse, Dämonische. Und dieses ganze Elend um mich herum - ja, es schützt mich vor Tessa, aber es kann mich nicht ernähren. Hier träumt fast niemand mehr. Und wenn, ist es das pure Grauen. Je mehr ich davon trinke, desto schwächer werden meine guten Gefühle.«
    »Nimm von meinen Träumen, Colin. Ich habe genug. Du kannst Kindheitserinnerungen von mir haben - die sind schön, wirklich, ich hab schöne Sachen erlebt bei meiner Oma. Oder möchtest du Urlaubserinnerungen haben? Wir waren zwar nie in der Sonne oder im Süden, aber mit kalten Fjorden kannst du wahrscheinlich sowie­so mehr anfangen«, redete ich auf ihn ein.
    »Was glaubst du denn, wogegen ich kämpfe, seitdem du diesen Raum betreten hast, mein Herz«, sagte er leise. Seine Arme zuckten und für einen kurzen Moment schrammten seine Fingernägel am Holz des Stuhles entlang. Es splitterte. Feines Sägemehl rieselte zu Boden. Er schüttelte den Kopf, obwohl es ihn sichtlich Mühe koste­te. »Nein. Wohin sollte das führen? Willst du jeden Tag hierherkom­men und mich trinken lassen? Das würde dich vernichten. Ich wür­de dich zerstören. Das kann ich nicht.«
    Jetzt war mir klar, warum Papa mich so ganz ohne Betteln und Diskussionen hergebracht hatte. Colin und ich hatten keine Zu­kunft. Traurig lächelte er mich an, ohne dass das Grollen aus seiner Kehle verstummte.
    »Ich dachte, es geht vielleicht. Irgendwie. Und ich musste wissen, ob du wieder gesund wirst und dein Vater dich in Sicherheit bringt.« Seine Nase strich zart über meine Wange. »Gott, ich hätte dich mit Haut und Haaren verschlingen können. Du warst hinreißend in deinem Rausch.« Sein schwaches Lächeln verblasste. »Ich habe es versucht, Ellie. Es geht nicht. Es macht mich krank.«
    Er ließ den Kopf sinken, um ihn dann gleich wieder zu heben, damit er weiter in den Mond schauen
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