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Splitterherz

Titel: Splitterherz
Autoren: Bettina Belitz
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gewor­den.«
    »So könnte man es auch bezeichnen«, knurrte Papa, der sich gera­de in Mamas schwarzen Stoffstreifen verhedderte. »Was machst du überhaupt hier?«
    »Okay, ich glaube, ich verschwinde dann mal«, murmelte Till­mann betont unbeteiligt und steuerte die Treppe an.
    »Autoschlüssel«, ertönte es grollend von der Wand, an der Colin kauerte. Er streckte seine flache Hand aus. Ich kicherte erneut und begann versonnen, Papas Haare zu kleinen Zöpfen zu flechten, während er mit einer störrischen Alraunenwurzel kämpfte, die sich in meinem Kragen verfangen hatte.
    »Na gut«, murrte Tillmann und ließ den Schlüssel in Colins Hand fallen. »Darf ich denn mal Karateunterricht bei dir haben?«
    »Raus jetzt!«, brüllte Papa aufgebracht.
    »Bin ja schon weg«, sagte Tillmann beschwichtigend. »Ich ruf dich an, Ellie.«
    »Wenn ich noch lebe, gehe ich ran«, gluckste ich zufrieden.
    Papa zog den letzten Zweig aus meinen Haaren und marschierte die Treppe hinauf ins Obergeschoss. Ich konnte hören, wie er zwischen all den Renovierungsgerätschaften eine Tür aufriss.
    »Hier herein!«, befahl er.
    Colin löste sich aus seiner Versteinerung und huschte katzenhaft die Treppe hinauf und in den Raum, aus dem modrige Luft bis zu mir strömte. Für einen Herzschlag lichtete sich meine Betäubung und ich wollte Colin folgen. Doch Papa war schon wieder bei mir. Warnend umfasste er mein Handgelenk.
    »So, mein Fräulein, und jetzt kümmern wir uns um dich.«
    »Bist du endlich fertig?«, fragte ich.
    Ich hatte Papa zweimal auf seine Hose gekotzt, weil er es nicht gewagt hatte, mein Bein oder gar mich zu betäuben, während er die Wunde reinigte und vernähte. Denn ich befand mich nach wie vor in einem nicht ganz unangenehmen Rauschzustand, von dem nie­mand wusste, wie lange er andauern würde. Wie eine Prinzessin thronte ich auf dem Operationstisch und sah Papas ruhigen Hän­den bei ihrer Arbeit zu. Geschickt zog er den letzten schwarzen Fa­den durch die Ränder des Schnittes und verknotete sie.
    »Und das war wirklich ...?«
    »Ein Wildschwein«, beruhigte ich ihn mit schleppender Stimme. Ich nahm die Finger an meine Ohren, um die spitzen Hauer des Keilers nachzuahmen, beugte mich vor und machte laut: »Buh!« Papa griff kopfschüttelnd nach dem Verbandszeug.
    Als nur noch meine Zehen unter den weißen Bandagen heraus­spitzten, schoben sich die Wolken vor dem milchigen Fenster zur Seite und gaben die Morgensonne frei. Grelle Strahlen fielen auf die
    Skalpelle und ließen sie silbrig glitzern. Papa und ich kniffen die Augen zusammen und wandten uns ab. Mein Rausch verflog so schnell, wie er gekommen war, und der Schmerz griff brutal nach meinem gesamten Denken und Fühlen.
    »Bring mich nach Hause, Papa«, flüsterte ich, bevor ich nachgab und ohnmächtig in die kühlen grünen Laken des Operationstisches sank.
    Erst am Sonntagabend löste sich Mama aus ihrem Schockzustand, stellte sich in die Küche und briet ein paar saftige Steaks. Zuerst lockte ihr Geruch Papa an, während ich im Bett saß und meine schmerzenden Schläfen massierte. Das Bein pochte unentwegt vor sich hin, doch Fieber hatte ich nicht. Als ich Besteck klappern hörte, schnappte ich mir meine Krücken und humpelte nach unten. Mama und Papa saßen sich stumm gegenüber, ohne sich anzusehen oder miteinander zu reden. Ich nahm mir ein Steak und blickte erst Mama, dann Papa an. Sie schauten an mir vorbei.
    »Ich möchte zu ihm«, durchbrach ich die angespannte Stille. »Jetzt.«
    Mama ließ ihr Messer fallen. In ihren Augenwinkeln glänzten Trä­nen. Papa atmete tief durch und sah mich an. Mir blieb das Stück Fleisch, das ich eben noch gekaut hatte, in der Kehle stecken. Hastig griff ich über den Tisch und spülte es mit einem Schluck Wein aus Mamas Glas hinunter. Die Säure brannte in meinem Hals.
    Papa erhob sich. »Dann komm mit, Elisabeth.«
    »Nein«, hauchte Mama.
    »Wieso nein? Du hast doch gewollt, dass sie die Wahrheit erfährt«, sagte Papa mit schneidender Kälte in der Stimme. Welche Wahr­heit?, fragte ich mich und das Gefühl der Beklemmung steigerte sich ins Unerträgliche.
    Mama zuckte zusammen und sah ihn zornig an. »Ich will es und ich will es nicht. So wie ich dich will und manchmal eben doch nicht.«
    »Könnt ihr eure Beziehungsprobleme vielleicht später diskutie­ren?«, blaffte ich sie an. »Ihr benehmt euch ziemlich kindisch.«
    Mit einer unmissverständlichen Armbewegung wies Papa mich an, ihm zu folgen. Zwanzig
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