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1686 - Kugelfest und brandgefährlich

1686 - Kugelfest und brandgefährlich

Titel: 1686 - Kugelfest und brandgefährlich
Autoren: Jason Dark
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Ihr war auch bekannt, dass sich hinter Chandra etwas ganz Besonderes verbarg. Man sprach nicht darüber, denn es war ein Erbe, das sie übernommen hatte. Die Eingeweihten, denen es bekannt war, würden sie übernehmen und weiterhin führen.
    Matuschka hatte Chandra erlebt, wenn sie in die Natur gegangen waren. Manchmal war es aus ihr hervorgebrochen. Da hatte sie ihren wahren Gefühlen freien Lauf gelassen und die Tiere gefangen, um sie dann zu töten. Manche hatte sie mit den eigenen Händen zerrissen und sich darüber noch gefreut.
    Später hatte sie sich Pfeile zurechtgespitzt und damit Tiere gejagt. Alles war ein großer Spaß gewesen, und die alte Frau hatte nur zuschauen können.
    Sie hatte dabei an Chandras Erbe gedacht, an das, was sie in sich trug. Und dann lag die Erklärung auf der Hand.
    Und sie erinnerte sich noch genau an den Abend, der noch nicht lange zurücklag. Da hatte Chandra in ihrem kleinen Zimmer gesessen und mit einem Messer gespielt.
    Das jedenfalls war der alten Frau so vorgekommen. Sie irrte sich, denn Chandra hatte nicht gespielt, sondern etwas ausprobiert. Sie wollte es genau wissen und hatte damit Erfolg gehabt.
    Das Messer brachte ihr keine Verletzung bei, obwohl sie es sich gegen die Brust gestoßen hatte. Es entstand keine Wunde, es floss kein Blut, es war alles normal geblieben.
    Die Frau hatte ihren Schützling nicht darauf angesprochen und sich lautlos zurückgezogen. Aber die Erklärung war simpel. In ihr steckte wahrhaftig ein Erbe, wie es nur in Russland vorkommen konnte.
    Jetzt war ihre Zeit vorbei. Ab nun würden sich andere Menschen um Chandra kümmern, und sie würden schon bald eintreffen. Noch an diesem Abend.
    Die Hand wollte noch mal über das Gesicht streichen, was ihr nicht mehr gelang, denn plötzlich öffnete Chandra die Augen und sah ihre Erzieherin hellwach an.
    »He, du bist wach?«
    »Ja, das bin ich. Ich habe nicht geschlafen, ich habe nur gelegen und nachgedacht.«
    »An was denn?«
    »Es ist vorbei mit uns.«
    Die alte Frau zog ein bedauerliches Gesicht. Mit ihren Händen strich sie über die Bettdecke. »Ja, leider ist es vorbei. Man wird dich jetzt ins Leben schicken. Man wird dich ausbilden und man wird dafür sorgen, dass du etwas ganz Besonderes wirst, denn das bist du deinem Erbe schuldig. Auch das ist wahr.«
    »Ich freue mich darauf.«
    »Das sollst du auch.«
    Chandra richtete sich auf. Sie blieb sitzen und bewegte ihren Kopf. Dann fuhr sie durch ihr Haar, während sie fragte: »Wann werden sie kommen, Matuschka?«
    »Gleich.« Die alte Frau schluckte. »Es sind unsere letzten Minuten, die wir zusammen verbringen.«
    Chandra hatte die Antwort gehört und lächelte, als sie fragte: »Bist du traurig?«
    »Nein!«
    Die harte Antwort erschreckte sie selbst. Plötzlich war ihr Chandra fremd geworden. Sie strahlte keine Wärme mehr aus. Man konnte jetzt von einer eiskalten Schönheit sprechen, und nun wusste die Erzieherin, dass ihre Zeit endgültig vorbei war.
    »Ja«, sagte sie leise, »dann werde ich mal deine Sachen aus dem Schrank holen.«
    »Lass! Das mache ich schon selbst.«
    »Gut.« Die Alte verließ das Zimmer. Kalter Schweiß lag auf ihrer Stirn, als sie durch den Flur ging und vor der Haustür anhielt. Draußen war es längst dunkel geworden. Trotzdem blickte sie durch das schmale Fenster dorthin, wo der Weg begann, den die Männer nehmen mussten, wenn sie herkamen.
    Sie kannte die Männer nicht, aber sie wusste, dass sie gefährlich waren. Gefährlich und auch geheimnisvoll. Sie hatten sich zusammengefunden und sich einer Gestalt verschworen, die in der Vergangenheit sehr gefürchtet gewesen war und die sogar dem Zaren gedient hatte. Das war lange vorbei, aber nicht vergessen.
    Zwei leicht tanzende Lichter lenkten sie ab und verscheuchten ihre Gedanken. Es waren Scheinwerfer.
    Es war also so weit. Chandra wurde geholt, um in eine andere Lebensphase einzutreten. Sie war reif, das wusste auch ihre Erzieherin, und sie würde einen nicht eben ungefährlichen Weg gehen. Das lag in ihrem Erbe begründet.
    Ein kalter Schauer rann über Matuschkas Rücken. Sie schloss für einen Moment die Augen und spürte, dass die Kälte wanderte. Sie drang in ihr Inneres und sorgte dafür, dass sie erstarrte. Auch weiterhin hielt sie die Augen geschlossen und hatte trotzdem den Eindruck, etwas sehen zu können.
    Eine Gestalt löste sich aus der Dunkelheit. Sie war groß, bleich und bestand nur aus Knochen.
    Der Tod kündigte sich an …
    ***
    Matuschka stieß
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