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Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt
Autoren: Bernwald Schneider
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pelzbesetztem Kragen gekleidet. Über dem langen und trotz der kalten Witterung unverhüllt nackten Hals sah ich ein Gesicht von engelhaft schönen Zügen.
    »Sie haben mir ausrichten lassen, dass Sie sich freuen würden, mich wiederzusehen«, raunte die rauchige Stimme Irenes mir mit einem verführerischen Lächeln zu. »Nun! Da bin ich! Sie brauchen nicht mehr weiterzulaufen, Sie sind am Ziel.«
    Irene. Sie strahlte etwas Unverwüstliches aus und es machte den Eindruck, dass sie von allen äußeren Einflüssen irgendwie unberührt blieb, wie jemand, der sich darauf verstand, nicht nur der Unbill der kalten Witterung mit Erfolg zu trotzen.
    Wie sehr hatte ich mir bis zum heutigen Tage gewünscht, diese Frau wiederzusehen! Doch nun, da es so weit war, spürte ich ein Entsetzen, das weder durch ihre blühende Schönheit noch durch ihren unbeschreiblich süßen Duft gemildert wurde.
    »Sind Sie allein gekommen?«, fragte ich sie, erfüllt von einer jähen Angst, die weit mehr als eine dunkle Ahnung war.
    Für ein paar Momente verlor sich ihr Lächeln.
    »Für diese Art von Wiedersehen ist es zu spät«, konterte sie. »Ein zweites New York kann ich mir nicht leisten. Deshalb habe ich mir heute ein paar Herren zur Unterstützung mitgebracht. Einige von ihnen sind schon hier auf dem Bahnsteig, die anderen warten vor dem Gebäude auf mich.«
    »Haben Sie denn vergessen, dass ich es war, der Ihnen in New York das Leben gerettet hat?«
    »Nein«, sagte sie. Ihr Gesicht nahm ernste Züge an. »Aber es bedeutet mir heute nichts mehr. Sie haben eben das Pech, dass ausgerechnet in der Nacht, in der Sie Deutschland verlassen wollen, der Reichstag brennt! Zwei unserer Leute haben Sie dort erkannt und telefonisch Ihre Schwester verständigt, als man Sie nach einem Verhör wieder laufen ließ. Doris hat mich unverzüglich unterrichtet und Anweisungen gegeben. Nun, wie ich sehe, bin ich ja gerade noch rechtzeitig gekommen.«
    Ich musste schlucken. Meine Kehle wurde trocken. Meine Stimme klang ziemlich verzweifelt, während ich sie ohne große Hoffnung fragte: »Gibt es denn überhaupt keine andere Möglichkeit für mich?«
    »Keine!«
    »Was geschieht denn nun mit mir?«
    »Sie werden in den Keller unterm Hotel gebracht!«
    »Und dann?«
    Sie sah mich offen an und ein fast zärtliches Lächeln trat auf ihr wunderschönes Gesicht.
    In diesem Augenblick sah ich ihre grotesk uniformierten Schergen, wie sie sich uns langsam näherten, wie sie ohne Eile und mit den Händen in den Hosentaschen auf uns zuschlenderten, bevor sie sich breitbeinig links und rechts zu den Seiten ihrer schönen Anführerin aufbauten. Mit einem höhnischem Lächeln und dem zur Schau getragenen Bewusstsein, dass sie gewonnen hatten, starrten der Drahtige und sein Totschlägerkumpel mich an.
    Mir wurde schwarz vor Augen und ein Abgrund tat sich vor mir auf. Ein Abgrund zur Hölle, an dessen Eingang man jede Hoffnung fahren ließ. Es war zu spät.
     
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