Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spittelmarkt

Spittelmarkt

Titel: Spittelmarkt
Autoren: Bernwald Schneider
Vom Netzwerk:
kleinen Umweg entschieden, um die größeren Straßen zu meiden. »Ich habe einen kleinen Spaziergang gemacht hier entlang; mir war danach; das ist doch normal.«
    »Na klar! Bei diesem herrlichen Wetter geht man gern mal beim Reichstag spazieren – überhaupt, wo es hier so schön warm geworden ist!«
    Die Hilfspolizisten, die links und rechts neben ihm standen, lachten.
    »Dann fragen Sie bitte meine Schwester«, entgegnete ich, da mir nichts Besseres einfiel. »Sie kann Ihnen bestätigen, dass ich bis neun Uhr bei ihr war und gar keine Zeit hatte, im Reichstag ein Feuer zu legen.«
    Erneut hatte ich etwas Falsches gesagt. Ich war förmlich dabei, mich um Kopf und Kragen zu reden.
    »Wie viel Zeit braucht man denn, um den Reichstag in Brand zu stecken?«, fragte der Kommissar denn auch prompt. »10 Minuten, 20 Minuten, eine Stunde, wie viel?«
    »Ich habe keine Ahnung!«
    »Dann strengen Sie mal Ihre grauen Zellen an!«
    »Meine Schwester ist Mitglied der nationalsozialistischen Partei«, verkündete ich in der Hoffnung, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben, obwohl ich gar nicht sicher wusste, ob diese Behauptung stimmte.
    »Sind Sie etwa schwerhörig?«, sagte der Kommissar. »Ich habe gefragt, wie viel Zeit man braucht, um den Reichstag anzustecken? 10 Minuten, 20 Minuten, wie viel?«
    »Sicherlich eine Stunde.«
    »So! Sicherlich eine Stunde!« Er schrieb meine Antwort auf seinen Block. »Die Brandexperten werden uns bald sagen, wie lange es gedauert hat.« Er sah mich scharf an. »Wo Sie gerade die Partei erwähnten – welcher Partei gehören Sie selbst denn an?«
    »Ich bin in keiner Partei.«
    »Irgendeine andere Zugehörigkeit? Vereine? Organisationen?«
    »Ich bin – oder soll – Mitglied in einer Gesellschaft werden, einer Loge, die …«
    »Freimaurer?«, unterbrach er mich.
    »Nein.«
    »Loge oder keine Loge?«
    »Es ist eine Gesellschaft, der auch führende Nationalsozialisten angehören. Das kann Ihnen meine Schwester ebenfalls bestätigen. Ihr Ehemann ist der Pharao – so wird der Leiter –«
    »Der Pharao? Habe ich richtig gehört?« Der Kommissar feixte. »Was für ein Glückstag für uns! Wissen Sie, wer ich bin?«
    Die beiden Schläger begannen zu kichern. Einer stieß mich ins Kreuz. »Antworten!«
    »Sie haben sich mir noch nicht vorgestellt.«
    »Dann will ich es jetzt tun: Ich bin der Kaiser von China.«
    Die Männer in seinem Hintergrund brüllten vor Lachen, als sei das ein ganz neuer Witz.
    »Ich habe mich ungeschickt ausgedrückt«, sagte ich. »Aber wenn ich ständig geschlagen werde, kann ich nicht richtig antworten.« In Erwartung des nächsten Schlages zuckte ich unwillkürlich zusammen, doch er blieb aus.
    »Ein holländischer Kommunist und ein verrückter Rechtsanwalt«, spottete der Drahtige, »wenn das nichts ist.«
    »Mund halten!«, sagte der hagere Kommissar in Zivil, der schnell wieder ernst geworden war. »Also: Wie viel Zeit haben Sie gebraucht, um den Reichstag in Brand zu stecken? Eine Stunde – oder mehr?«
    Wieder erhielt ich einen Schlag ins Kreuz. »Sind Sie plötzlich taub? Der Herr Kommissar hat Sie etwas gefragt!«
    »Ich bin sicher, dass es unmöglich ist, in der knappen halben Stunde, seit ich die Wohnung meiner Schwester verließ, den Reichstag in Brand zu setzen.«
    Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen; aus Gründen, die ich nicht durchschaute. Offenbar hatte ich eine Antwort gegeben, die nach der verqueren Logik, der diese seltsamen Polizisten anhingen, günstig für mich war.
    »Darf ich ihm eine Frage stellen?«, wollte der Drahtige wissen, woraufhin der Kommissar nickte.
    Rattengesicht baute sich vor mir auf. »Was hast du vorhin mit dem Pförtner besprochen?«
    »Ich habe ihn darauf aufmerksam gemacht, dass es brennt.«
    »Was hat er geantwortet?«
    Ich wollte schon der richtigen Antwort ausweichen, besann mich im letzten Moment anders. »Es war wohl etwas in der Art, jemand habe Feuer gelegt.«
    Der Kommissar in Zivil mischte sich wieder ein. »Und wer, meinte er, habe das Feuer gelegt?«, erkundigte er sich.
    »Das hat er nicht gesagt.«
    »So. Hat er nicht. Wir werden ihn dazu befragen, Herr Rechtsanwalt; da können Sie ganz sicher sein. Und er wird uns die richtige Antwort geben – darauf können Sie Gift nehmen!«
    Der Kommissar wandte sich an den kräftigen Schläger. »Sehen Sie nach, wie weit die mit dem Löschen des Feuers sind. Nicht dass wir hier noch anschmoren.«
    Der Kräftige verließ für ein paar Augenblicke den Raum und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher