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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern
Autoren: Rawi Hage
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so eine Kaschemme?
    Der Mann ging weiter, als hätte er mich nicht gehört.
    Ein richtig ranziger Schuppen war das, so ausgestorben, dass nicht mal Qualm oder Musik waberte. Der Verrückte war schon verschwunden, wahrscheinlich aufs Klo, dachte ich, sah aber weder eine Treppe noch irgendwelche Türen außer der einen, durch die wir gekommen waren. Ich wartete eine Weile an der Bar und fragte schließlich den Barmann, ob er den Mann mit den langen Haaren gesehen habe, der eben hereingekommen sei.
    Anders als man es aus dem Klischee kennt, nahm der Barmann kein weißes Geschirrtuch zur Hand, um gemächlich ein Glas zu polieren und es zum Abschluss gegen das Licht zu halten, sondern sah mich an und senkte dann den Blick auf das Glas, das er tatsächlich in der Hand hielt und in dem er eine Stoffserviette, die er hineingestopft hatte, langsam drehte, und sagte: Glaub nicht, dass du von mir irgendwas kriegst, nur weil Lucian dir einen Drink oder Kohle versprochen hat.
    Und wer gibt mir jetzt mein Geld?, fragte ich.
    Der Tisch ganz hinten, sagte der Barmann.
    Ich sah mich um und überlegte, welchen Tisch er meinen könnte.
    Da hinten, sagte er und zeigte mit dem Tuch und einem zuckenden Auge.
    Ich trat tiefer in den Raum, er war größer, als ich gedacht hatte. Ich sah einen Billardtisch, dann Qualm und schließlich ganz hinten einen Tisch, an dem zwei Männer saßen. Einer war sehr kräftig gebaut, seine Arme waren von oben bis unten tätowiert. Der andere war älter, er trug einen Hut.
    Sie sahen mich an und schienen überrascht.
    Ich suche Lucian, sagte ich. Er schuldet mir Geld für die Taxifahrt.
    Kommen Sie, setzen Sie sich zu uns, sagte der Ältere. Ich zahle die Fahrt, aber erst trinken wir einen. Was möchten Sie denn?
    Saft, sagte ich.
    Saft!, lachte er. Der Mann geht in eine Kneipe und bestellt Saft! Trotzdem schickte er den anderen los, um mein Getränk zu holen.
    Und wie läuft’s denn so im Taxigewerbe?
    Wenn der Karneval mal angefangen hat, wird es besser, sagte ich.
    In dieser Stadt wartet jeder, der Geld verdienen will, auf den Karneval. Ich finde, ein Mann sollte sein Schicksal selbst in die Hand nehmen. Ich bin übrigens Cyprian, sagte er, der Bruder von Lucian. Ich freue mich, dass Lucian Sie hergebracht hat, ich habe nämlich gedacht … also, ich habe einen Neffen, einen … wie kann ich das sagen, ohne meine Schwester zu beleidigen, also … er wirkt ein bisschen verloren. Nicht hier oben – er klopfte sich an die Schläfe –, nicht wie Lucian. Mein Neffe ist ein guter Junge, aber er pariert nicht.
    Sie meinen, er hat ein Problem mit Autorität, sagte ich.
    Ja, genau. Er kriegt das nicht hin. Er macht immer einen Riesenärger. Einmal hat er seinen eigenen Chef verprügelt … und letztes Jahr hatte er einen Job am Riesenrad und legte sich mit einer alten Dame an, die nach der letzten Runde des Tages einfach nicht aussteigen wollte. Sie meinte, dort oben könne sie besser mit Gott sprechen. Mein Neffe versuchte, sie von der Bank zu zerren, sie wehrte sich mit Händen und Füßen. Also stellte er das Rad wieder an und ließ sie die ganze Nacht an der höchsten Stelle baumeln. Zum Glück regnete es nicht, die alte Frau hat wohl gebetet und ist irgendwann eingeschlafen. Gefeuert haben sie ihn trotzdem. Ich habe ihm einen Job hier im Restaurant gegeben, aber er hat immer nur draußen gestanden und geraucht. Kann man nichts machen, er ist halt gern an der frischen Luft. Und da habe ich gedacht, dass er vielleicht ein guter Taxifahrer wäre.
    Da müsste Ihr Neffe aber erst einmal die Prüfung bestehen, sagte ich.
    Ich werde schon dafür sorgen, dass er lernt, sagte Cyprian.
    Er muss jede Straße, jeden Straßennamen kennen. Oder er kauft die Prüfungsfragen in dem einen Chinarestaurant an der Ecke, dann muss er sie nur noch auswendig lernen.
    Würden Sie mir den Namen des Restaurants aufschreiben?, fragte er.
    Ich weiß es nicht genau, sagte ich. Irgendwas mit Lotus oder Konfuzius. Ich habe meine Prüfung ehrlich bestanden.
    Ich sah mich um und hoffte Lucian irgendwo zu entdecken.
    Er wird schon wieder auftauchen, sagte Cyprian. Trinken Sie Ihren Saft … Sie müssen verstehen, als mein Bruder klein war, war er ein Genie. Manchmal hält er sich für einen Wahrsager, dann wieder für einen Schlangenmenschen. Ich glaube, es liegt an der Stadt, dass hier alle durchdrehen. Sind Sie von hier?
    Nein. Aber ich bin schon lang genug hier.
    Sie haben also schon den ein oder anderen Karneval miterlebt?
    Das
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