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Spinnen füttern

Spinnen füttern

Titel: Spinnen füttern
Autoren: Rawi Hage
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nicht, aber es wird schon gehen. Macht es euch erst mal gemütlich, ihr könnt ja nachkommen. Otto, hilfst du heute Abend?
    Er nickte.
    Du kannst auch gern kommen, Fly, wir können die Hilfe gebrauchen. Sie zwinkerte mir zu und sagte: Die Damen im Zentrum würden sich bestimmt freuen, dich kennenzulernen.
    Als sie weg war, drehte Otto einen Joint. Schon mal gemacht?, fragte er und reichte ihn mir.
    Klar, sagte ich.
    Früh übt sich?
    Genau. Ich inhalierte tief und hielt den Rauch in meiner Lunge.
    Otto legte eine Platte auf – es war Jazz –, aus dem Schrank holte er eine Flasche Wodka. Hier, Genosse, sagte er und reichte mir ein Glas. Jazz und Wodka sind der Stoff, der den Widerstand befeuert.
    Abends gingen wir zu einer Schule in der Nähe. Aisha sei Sozialarbeiterin, erklärte er, zweimal in der Woche helfe sie in einer Suppenküche aus. Im Keller der Schule sah ich sie dann: wie sie dastand mit ihrer Schürze und Essen austeilte. Kinder und Erwachsene standen Schlange, die Kinderstimmen gellten laut und hallten in dem niedrigen, kahlen Raum. Die einen spielten Fangen und stritten um Spielzeug, andere saßen an winzigen Tischen, beugten sich hungrig über ihre Teller und aßen schweigend. Otto kannte hier jeden, er stellte mich ringsum vor. Dann nahm er zwei Schürzen, legte mir eine um den Hals und band sich die andere um. Wir stellten uns an die Ausgabe und verteilten das Essen.
    Aisha lächelte mich immer wieder an, und als sie hinter mir vorbeiging, strich sie mir über den Rücken. Die Helfer essen zuletzt, sagte sie und fügte leise hinzu: Und zwar, so viel sie wollen. Und die Damen hinter uns kicherten und wiederholten: so viel sie wollen.
    Mehrere Monate verbrachte ich bei Otto und Aisha. Es wurde ihnen nie zu viel, nicht einmal drängten sie mich auszuziehen. Otto arbeitete an seinen Aktionen. Nachts hörte ich ihn tippen. Mal schlief er auf der Couch, mal bei Aisha. Ich schlief in einer Kammer hinter der Küche. Meine Gespräche mit Aisha drehten sich beinahe immer um Literatur, wir lasen alle drei sehr gern. Als ich Geburtstag hatte, backte sie einen Kuchen und schenkte mir ein Buch von Langston Hughes, Wie weiße Menschen sind . Ich blies die Kerzen aus, sie drehte die Musik auf und forderte mich zu einem Tanz auf.
    Wir tanzten eng und rieben uns aneinander, erst stand sie hinter mir und drückte sich an meinem Hintern, dann wechselten wir die Stellung. Otto saß am Esstisch, er trank Wodka und lächelte verträumt und melancholisch herüber.
    Komm schon, Geliebter, rief Aisha, steh auf, komm rüber, zeig uns, was du draufhast.
    Otto stand tatsächlich auf und tanzte, und Aisha lachte vergnügt.
    Einmal, als Otto nicht zu Hause war, legte ich mich aufs Bett und öffnete den Reißverschluss. Ich packte meine Erektion und phantasierte und begann zu pumpen, als plötzlich die Tür aufging. Es war Aisha. Sie sah mich an und sagte, es gibt keinen Grund, allein zu bleiben, rutsch mal ein Stück. Sie zog die Bluse aus und legte ihre Hand auf meine Brust. Sie küsste meinen Hals. Als wir fertig waren, überkam mich Angst, meine Scham mischte sich mit Trauer, mit Mühe hielt ich die Tränen zurück. Otto wird gleich hier sein, sagte ich zu Aisha.
    Otto wird es nicht stören, sagte sie. Mach nur die Tür zu, und komm ins Bett, es wird alles gut.
    Mary
    Jeden Tag suche ich mir aus der Masse der Bücher, die sich in meiner Wohnung angesammelt haben, ein oder zwei heraus und nehme sie mit ins Taxi. Ich habe vielleicht noch nicht erwähnt, dass sich die Bücher in meiner Wohnung bis zur Decke stapeln. Die Stapel wachsen überall. Wenn mich eine Frau besucht, muss sie zuerst durch einen Tunnel aus Büchern, in allen Ecken und Nischen tanzt ein Karneval der Helden. Ich nehme sie an die Hand und führe sie hinein, unter dem rauschenden Beifall von Schriftstellern und Mäusen.
    Ich sitze auf Büchern, und ich schlafe auf ihnen, ich sauge sie ein, wenn ich atme. Ich ordne sie immer wieder um, mal nach den Hauptfiguren, mal nach der Himmelsfarbe oder dem Schädelumfang der Autoren. James Joyce zum Beispiel steht gleich am Eingang, weil sein Kopf so groß war. Rousseau dagegen ist weiter hinten, beinahe schon am Fenster anzutreffen, und das hat zwei Gründe: Erstens war sein Schädel relativ schmal – ja, das entspricht meinen Messergebnissen (und erfüllt die Ansprüche britischer Empiriker) –, und zweitens war sein Harndrang unbändig, auch deshalb war ihm die Natur so wichtig. Es gibt nichts Besseres als
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