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Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)

Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)

Titel: Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)
Autoren: Hermann Scherm
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Samuraischwert«. Ohne den Artikel gelesen zu haben, hatte er schlagartig das Gefühl, dass er den Täter kannte. Mit jeder Zeile, die er las, wurde sein Gefühl mehr und mehr zur Gewissheit. Der Täter, der in dem Artikel als Jochen J. bezeichnet wurde, war mit Sicherheit Jochen Jakowski, ein junger Mann, den er gerade als Interviewer in einer Versuchsreihe bei Gene Design Technologies betreute. Die Ähnlichkeiten waren jedenfalls frappierend.
    Der Job bei Gene Design Technologies sorgte für die Miete, die er mit seinen Biografien noch nicht erwirtschaften konnte. Seit zwei Jahren arbeitete er dort zwei- bis dreimal die Woche als Interviewer. Ein einfacher Job. Er hörte Versuchspersonen zu, die ihm detailliert aus ihrem Leben und von ihren Erinnerungen erzählten und machte sich parallel dazu Notizen in einem Datenbankraster. Nach dem Interview bearbeitete er die mitgeschnittenen Audiofiles, setzte bei bestimmten Begriffen Marker und stellte sie nach einem exakt vorgegebenen Schema in die Datenbank ein. Während des gesamten Interviews wurden die Hirnaktivitäten und Hirnströme der Probanden mit einem neu entwickelten Scanner aufgezeichnet und über einen Timecode mit den Eintragungen in der Datenbank verlinkt. Zugleich war eine timecode-verkoppelte Kamera auf das Gesicht des Probanden gerichtet und registrierte dessen Mimik. Das Erfassen des Timecodes gehörte mit zu seinen wichtigsten Aufgaben.
    Mit Hilfe dieser Langzeitinterviews mit Versuchspersonen unterschiedlichen Alters wollte Gene Design Technologies das Rätsel der Alzheimer-Krankheit lösen und ein Medikament oder eine wirksame Therapie gegen diese grausame Krankheit entwickeln. Ein Milliardenmarkt in einer Situation, in der die Bevölkerung fast aller entwickelten Industrienationen unaufhaltsam vergreiste und die Methusalem-Gesellschaft als gigantische Bedrohung von Wohlstand und sozialer Sicherheit am Horizont stand.
    Bis vor ein paar Monaten hatte er einfach seinen Job bei GDT gemacht, ohne viel darüber nachzudenken. In der letzten Zeit waren ihm jedoch mehr und mehr Zweifel gekommen, ohne dass er genau benennen konnte, was ihn beunruhigte. Es war einfach die Atmosphäre bei Gene Design Technologies. Wenn er diesen Glaspalast betrat, der die Form eines großen Tortenstücks hatte, fühlte er eine undefinierbare Bedrohung. Das ist das große Stück vom Kuchen, von dem alle hier was abhaben wollen und wofür sie alle bereit sind, über Leichen zu gehen, dachte er oft, während er durch die automatische Drehtür ins Gebäude geschleust wurde. Der Pförtner im Entree folgte ihm mit einem misstrauischen Blick auf seinem Weg durch die Eingangshalle. Eigentlich war es kein Pförtner, wie man ihn sich gemeinhin vorstellt. Es war ein Schrank von einem Mann, ein durchtrainierter Bodyguard, der eine Waffe unter seinem Boss Jackett trug, wie es Dr. Langer schien.
    Die ganze Firma war ein einziger Hochsicherheitsbereich, überall Zugangskontrollen, Patentschutzabteilungen, geheime Entwicklungsabteilungen und Labortrakte. Hier herrschte der gnadenlose internationale Wettbewerb. Patentierte Gene, Viren, manipulierte Zellen. Irgendwie kam ihm das immer komischer vor. Er fühlte sich immer mehr wie in einem modernen KZ der Biotechnologie und konnte sich nicht mehr vorstellen, dass der Output der Firma irgendwann der Menschheit dienen würde.
    Er fing an, sich für die Vorgänge bei GDT zu interessieren und machte Kopien von allen Daten, auf die er Zugriff hatte. Es gelang ihm auch, einige Unterlagen aus anderen Abteilungen zu fotokopieren und außer Haus zu schmuggeln. Aber das meiste sagte ihm nichts. Er konnte keine Schlüsse daraus ziehen, bis jetzt jedenfalls noch nicht.
    Als er den Artikel über den Schwertmord fertig gelesen hatte, lehnte er sich zurück, schloss die Augen und dachte nach. Jochen war am Nachmittag vor dem Mord bei GDT bei ihm zum Interview gewesen. Dabei hatte ihm Jochen eingehend von Lauras Rückkehr erzählt. Er konnte sich noch genau erinnern, dass Jochen von einem gemeinsamen Frühstück in Lauras Wohnung erzählt hatte, nachdem er sie vom Flughafen abgeholt hatte. Kein Wort davon, dass er Laura am Abend davor mit einem fremden Mann im Bett erwischt hatte. War es möglich, dass Jochen ihn so angelogen hatte?
    Jochen war mit Anfang dreißig einer seiner jüngeren Interviewpartner. Er hatte sich zuerst gefragt, warum so junge Leute in ein Alzheimer Forschungsprogramm integriert waren. Aber der Projektleiter hatte ihm gesagt, dass junge
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