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Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)

Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)

Titel: Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)
Autoren: Hermann Scherm
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man sich ergehen konnte. Dienstpersonal und Flügel und Areale, die unter Mottos eingerichtet waren. »Darf ich sie jetzt zum Espresso in den Surrealisten Flügel bitten? – Aber gern doch.« Sie genoss das, besonders, wenn sie sich von Simon heimlich befingern ließ zwischen all dem Edelgetue und sich dann auf dem Flügel im Musikzimmer ficken ließ. Und nebenbei lernte sie noch mit Messer und Gabel essen, in der richtigen Einsatzreihenfolge sogar. Das hatte was.
    Simon verdiente sein Geld mit Kunst, sagte er jedenfalls. Er verschwand manchmal für eine Woche zu irgendwelchen Kunstmessen. Basel war eine wichtige davon. Und dann kam er immer mit etwas Ausgefallenem zurück, das verdammt teuer gewesen war. Meist brachte er ihr dann auch ein Geschenk mit, das auch nicht billig war. Dabei zeigte er Geschmack. Nur einmal überraschte er sie mit einer alten russischen Ikone, die er ihr schenken wollte. Sie lehnte ab, wohin sollte sie das Ding auch hängen. Es war besser in Simons Küche aufgehoben. Sie platzierte es dort persönlich, direkt über der Spülmaschine.
    Aber irgendwie musste Simon nicht wirklich arbeiten, er hatte geerbt und würde noch mehr erben, das war klar, eine Impressionisten-Sammlung zum Beispiel, denn seine Eltern hatten eine.
    Wenn Simon unterwegs war, war sie manchmal ein kleines bisschen traurig, weil sie an ihn gewöhnt war. Zum Glück hatte er einen Sohn, der eines Abends einfach plötzlich da war, als sie Simon besuchte, und auf einer Matratze in einem der leeren Zimmer übernachtete. Sie hielt sich nicht zurück, als sie mit Simon vögelte, und stellte sich vor, wie der junge Mann nebenan im Dunkeln lag und sie stöhnen und schreien hörte, das gab ihr einen guten Kick.
    Mathieu war neunzehn. Wenn er sie ansah, waren ihr zwei Dinge sofort klar: Erstens, er war extrem verwirrt darüber, dass sein Vater mit einer Frau vögelte, die kaum älter war als er. Zweitens, er fand sie attraktiv und hätte sie am liebsten auch sofort gevögelt. Gegen »Erstens« konnte sie nichts tun. Aber bei »Zweitens« konnte sie Abhilfe schaffen, spätestens, wenn Simon wieder auf Geschäftsreise war. Sie freute sich schon darauf, auf diese interessante Konstellation. Manchmal stellte sie sich vor, dass sie Simon heiraten würde und dann Mathieus Mutter wäre, grotesk, aber auch spaßig.
    Sie wusste nicht viel von Simon, mehr als von ihren anderen Liebhabern, aber eigentlich auch nichts. Aber noch weniger wusste er von ihr. Sie gab ihre Spuren nicht preis und verwischte sie sorgfältig. Sie tauchte auf aus dem Nichts und verschwand wieder im Nichts, das war die Regel. Simon wusste nicht, wo sie lebte, kannte ihre Telefonnummer nicht und wusste nichts von ihrer Krankheit. Er ahnte, dass es da ein Geheimnis gab, aber er fragte nur einmal danach und dann nie wieder, als sie ihm die Regel unmissverständlich erklärte. Sie verschwand für Tage, manchmal auch Wochen, wenn sie es einfach nicht schaffte, aus dem Haus zu gehen, und tauchte irgendwann wieder auf und knüpfte an wie selbstverständlich.
    Was sie ihm erzählte, war gelogen. Sie erfand ein ganzes Leben für Simon. Sie hatte Spaß daran, diesen Faden zu spinnen, ihr Geheimnis. Dass es sie schmerzte, merkte sie im Normalfall nicht, nur in den dunklen Stunden war sie verzweifelt und wusste, dass es wohl keinen Ausweg geben würde. Wenn sie sich ganz schwach fühlte unter dieser dunklen Wolke, stellte sie sich manchmal vor, dass die Lava der Sonne in ihr Gehirn fließen würde und alles darin löschen würde und dass sie dann ihre Geschichte ganz neu schreiben könnte, neu und leicht, wie der Tau auf den Blättern vor ihrem Fenster, ein leichter reiner schwebender Schimmer – pures Glück.
    NEVER! Sie hätte nie zusagen dürfen. Sie starrte an die Decke und versuchte in Gedanken, Zentimeter für Zentimeter, auszumessen wie lang und breit diese trübe, weiße Fläche war, bis sie in eine Art bewegungslose Trance fiel.

* * *
    Dr. Langer bückte sich, um sich eine Cola Light aus der Minibar zu holen. Plötzlich hielt er in der Bewegung inne. Irgendetwas stimmte nicht. Die Fernbedienung für den Fernseher. Er war sich hundertprozentig sicher, dass er sie auf den Couchtisch gelegt hatte, bevor er das Zimmer vor einer Stunde verlassen hatte, um Fitness zu machen. Jetzt lag die Fernbedienung unmittelbar neben dem TV-Gerät. Er sah auf die Uhr. Der Zimmerservice konnte um diese Zeit unmöglich für diese Ortsveränderung der Fernbedienung verantwortlich sein.
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