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Die Todesgruft von Bally Moran

Die Todesgruft von Bally Moran

Titel: Die Todesgruft von Bally Moran
Autoren: Helen Nuelle
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    »Sie meinen ein Schloß, in dem es richtig spukt?« fragte Jesse Witlow neugierig und ein wenig amüsiert. Peggy Witlow, ihre Schwägerin, drehte sich erstaunt um und blickte sie forschend an. Aufregung war im Augenblick nicht gerade das Richtige für Jesse. Aber vielleicht doch besser als die entsetzliche Lethargie, die sie schon lange vor dem Abflug aus New York befallen hatte. »Sie steht kurz vor einem Nervenzusammenbruch«, hatte der Arzt gesagt und darauf bestanden, daß Jesse sich für längere Zeit von ihrer Arbeit als Redakteurin einer bekannten Modezeitschrift beurlauben ließ.
    Sie saßen zusammen mit Mr. Pierce in einem Hotelzimmer in der Nähe des Shannon Airport. Mr. Pierce kramte in seinen Papieren und murmelte mißmutig vor sich hin. Er hatte etwas gegen eigenhändig aufgesetzte Testamente, und insbesondere dieses mit seinen Andeutungen über Gespenster und einen Familienfluch war ihm höchst unsympathisch; auch die Bedingungen, die das Schloß betrafen, gefielen ihm nicht. Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte er die melodramatischen Worte in eine nüchterne Juristensprache umgewandelt, aber der alte Patrick Shaw hatte darauf bestanden, daß alles genauso vorgelesen wurde, wie er es geschrieben hatte.
    Nun saß die Großnichte des alten Patrick vor ihm, und weil sie zu frieren schien, hatte sie sich die Bettdecke um die Schultern gelegt. Zum erstenmal zeigte sie für das, was er sagte, Interesse. Er starrte sie leicht überrascht an, offenbar hatte der alte Patrick gewußt, daß er mit seinem Testament die Neugier der jungen Frau wecken würde. Wie alt mochte sie sein? Vielleicht dreißig.
    »Und es soll tatsächlich darin spuken?« wiederholte Jesse und beugte sich vor; sie lächelte sogar.
    »Er hat nicht das Wort ›spuken‹ benützt«, wandte Mr. Pierce ein. »Ich lese Ihnen die Stelle noch einmal vor: Während der letzten zwei Jahrhunderte mußte jeder, der auf Schloß Bally Moran zu leben versuchte, gewisse Erscheinungen erdulden. Allerdings waren es nur Mitglieder unserer Familie, die es unerträglich fanden, in dem Schloß zu leben.«
    »Sagt er auch, warum es unerträglich war?«
    »Nein. Aber in jener Gegend von Irland heißt es, daß ein Fluch über der Familie schwebe. Der Aufenthalt im Schloß wurde jedem von ihnen zur Folter, und selbst Personen, die nicht zur Familie gehörten, erlebten merkwürdige Dinge.«
    »Und dann verlangen Sie, daß Jesse einen ganzen Monat dort wohnen soll?« fragte Peggy unwillig.
    »Ich habe nur das Testament verlesen«, betonte Mr. Pierce. »Bally Moran wird Mrs. Witlow vermacht. Wenn sie dort einen Monat ständig wohnt, erbt sie auch den beträchtlichen Anteil am Barvermögen – ungefähr siebenundachtzigtausend Pfund. Sie muß die verlangte Zeit im ersten Jahr nach ihres Onkels Tod dort verbringen. Wenn es ihr nicht gelingt, diese Zeit durchzuhalten, geht das Geld an die Shaw Archaeological Society, einer Stiftung, die von ihrem Onkel ins Leben gerufen wurde. Mr. Quigley«, er nickte dem schmächtigen Mann zu, der seit Beginn der Unterredung noch kein Wort gesagt hatte, »ist als Vertreter dieser Stiftung hier zugegen.«
    Bei der Erwähnung seines Namens rutschte Mr. Quigley unruhig auf seinem Stuhl herum und rang sich die Spur eines Lächelns ab.
    Peggy streifte ihn kaum mit einem Blick. Die ganze Sache begann sie langsam zu ärgern. Sie fühlte sich mehr als ihr eigentlich lieb war für Jesse verantwortlich. Jesse war wohl sehr intelligent, aber recht unbedacht, wenn es um ihre eigene Gesundheit ging. Dies hatte Peggy auch als Vorwand genommen, um ihren Bruder Glen und dessen Frau Jesse nach England zu begleiten. Damit Glen sich ungestört in London dem Studium der englischen Geschichte des Mittelalters widmen konnte, hatte sie sich erboten, Jesse währenddessen Gesellschaft zu leisten. In Wirklichkeit hatte sie jedoch der Abstecher nach Irland gelockt. Daß Jesse ein altes Schloß erben sollte, hatte ihre Abenteuerlust geweckt und sie begeistert; allerdings nur bis zu dem Augenblick, als sie von dem Spuk und dem seltsamen Familienfluch gehört hatte. Glen war bereits auf dem Weg nach London, und die ganze Verantwortung lastete plötzlich wie ein Zentnergewicht auf ihr. Wer wußte denn, was Jesse in dem unheimlichen Schloß alles zustoßen könnte!
    »Wieviel ist das Schloß wert?« fragte sie unvermittelt. »Ich meine, wieviel würde es Jesse beim Verkauf bringen?«
    »Tja...« Mr. Pierce blätterte in den Papieren und runzelte die
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