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Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)

Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)

Titel: Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)
Autoren: Hermann Scherm
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Voller Vorfreude war er damit die fünf Treppen zu Lauras Wohnung in der Danziger Straße hinaufgelaufen, um die Einkäufe im Kühlschrank zu deponieren und den Tisch zu decken, damit alles für ihre Rückkehr bereit war.
    Als er die Tür aufschloss, hatte er einen Anflug von schlechtem Gewissen. Laura war sehr heikel, wenn es um ihre Wohnung und um ihre Privatsphäre ging und hatte ihn ausdrücklich gebeten, die Wohnung nur zum Blumengießen zu betreten, als sie ihm vor ihrer Abreise den Schlüssel übergeben hatte. Aber er sagte sich, dass sie ihm sicher verzeihen würde, wenn sie die Blumen und das leckere Frühstück sehen würde und trat in den Flur.
    Er brauchte keine fünf Sekunden, um zu spüren, dass in der Wohnung etwas nicht stimmte. Langsam ließ er den Beutel mit den Einkäufen auf den Boden sinken. Dann blieb er bewegungslos stehen und lauschte. Eindeutig, es war jemand in der Wohnung. Er hörte Geräusche hinter der Schlafzimmertür. Laura konnte es nicht sein, das war unmöglich, sie hatte ihm gestern erst gemailt, dass ihr Flieger morgen früh um 8:25 Uhr landen würde. Vorsichtig und aufs höchste angespannt drückte er die Klinke der Schlafzimmertür nach unten und öffnete die Tür. Was er sah, ließ ihn erstarren. Laura lag splitternackt und lustvoll stöhnend unter einem muskulösen, gebräunten Männerkörper vom Typ erfolgreicher, bodygebuildeter Geschäftsmann. Und es machte ihr Spaß, daran bestand nicht der geringste Zweifel.
    Als sie Jochen bemerkte, richtete sie sich ruckartig auf, starrte ihn aus ihrem erregten Körper entgeistert an und schrie: »Was zum Teufel machst Du hier!?«
    »Ich wollte Dich überraschen, ich dachte ...!« Jochen sah sie vollkommen perplex an und spürte Schmerz und Verzweiflung.
    »Schau nicht so blöd! Was ist denn dabei, wenn ich ein bisschen Spaß hab! Du bist selber schuld, wenn du mir nachschnüffelst. Warum rufst du nicht an, bevor du hier auftauchst? Ich bin eine Frau und ich brauch es eben auch manchmal! Und ich seh verdammt noch mal nicht ein, warum ich es mir nicht woanders nehmen soll, wenn ich es von dir nicht kriegen kann. Was wir sexuell zusammen machen, reicht mir nicht! Aber das ist kein Grund zur Panik! Und jetzt mach, dass du raus kommst. Ich ruf dich morgen an.«
    Jochen konnte kein Wort entgegnen. Er stand einfach nur da und rührte sich nicht von der Stelle. Bewegungsunfähig sah er, wie das Muskelpaket sich ein paar Dolce & Gabana Unterhosen anzog und langsam mit seinen breiten Schultern auf ihn zukam. »Worauf wartest Du noch, hast Du nicht gehört, du sollst verschwinden!«
    Jochen rührte sich immer noch nicht. Er spürte mit einem Mal eine seltsame Ruhe. Erstaunlich, diese Ruhe, dachte er, wie im Auge des Hurrikans. Als blickte er durch röhrenartige Öffnungen in seinem Schädel nach draußen, sah er diesen Halbnackten in seinen bunten Unterhosen auf sich zukommen, sah, wie sich die Muskeln in diesem wütenden Gesicht vor Aggressivität immer mehr anspannten … und blieb vollkommen ruhig, fühlte nur ein großes, sprachloses Erstaunen, das aus einer schier unendlichen Ruhe in ihm aufstieg. Er stand nur da und wich keinen Millimeter zurück, bewegte sich nicht. Ein kurzes Aufflackern von Irritation huschte über die Iris des Mannes. Dann wurde er vom Zorn über Jochens unverschämte Gelassenheit überwältigt.
    Er schaltete mit einem heftigen Ruck in einen hektischen Bewegungsablauf, packte Jochen an den Schultern und drückte ihn in den Flur. »Raus hier, du Arsch, aber dalli!« Er rammte Jochen mit aller Kraft gegen die Wand neben der Eingangstür, riss die Tür auf und stieß ihn ins Treppenhaus hinaus. Dann knallte er die Tür zu.
    Jetzt in der Erinnerung war es Jochen unbegreiflich, warum er sich nicht gewehrt hatte. Warum zum Teufel hatte er Laura nicht zur Rechenschaft gezogen, warum nur hatte er sich diese ungeheuere Demütigung einfach gefallen lassen? Er konnte es nicht fassen. Noch Minuten lang hatte er wie betäubt im Treppenhaus gestanden und auf die Geräusche hinter Lauras Tür gelauscht. Dann hatte er das Haus verlassen und war endlose Stunden ziellos durch die Stadt gerannt.
    Es war unfassbar, wie Laura ihn behandelte, wie sie ihn einfach abhakte, nach all den Jahren. Er hatte die letzten Stunden verzweifelt auf einen Anruf von ihr gewartet, auf eine Entschuldigung, aber das Telefon war stumm geblieben. Sie hatte ihn einfach aus ihrem Leben gestrichen. Wahrscheinlich hatte sie ihn bereits seit Monaten belogen und
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