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Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)

Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)

Titel: Spines - Das ausradierte Ich (German Edition)
Autoren: Hermann Scherm
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betrogen. Und er hatte nichts davon gemerkt, nichts, hatte geglaubt, dass sie ihn liebe und dass sie füreinander bestimmt wären und dass es nur noch eine Frage der Zeit wäre bis zu ihrer Heirat. Und jetzt hatte sie alles zerstört, hatte ihn so unfassbar erniedrigt. Das Bild ihres lustvoll stöhnenden Körpers unter diesem fremden Mann brannte in seinem Hirn. Und plötzlich spürte einen tiefen Hass, wie er ihn noch nie erlebt hatte. Das Gefühl war so stark, dass seine Hände anfingen zu zittern. Er musste sich zwingen, sie ruhig zu halten, als er nach dem Autoschlüssel suchte.
    Die Uhr auf dem Armaturenbrett zeigte 0:10 Uhr als er den Zündschlüssel umdrehte und den Wagen startete. In der Hoffnung, sich zu beruhigen, fuhr er ziellos durch die Stadt. Eine Stunde später fühlte er sich immer noch wie im freien Fall. Das Fundament, auf dem er die ganzen letzten Jahre gestanden hatte, war zerbrochen. Nur einmal in seinem Leben hatte er etwas ähnlich Schmerzhaftes erlebt. Als er sieben Jahre alt war, hatten sich seine Eltern scheiden lassen. Er war bei seiner Mutter geblieben und hatte miterlebt, wie sie in der Folge angefangen hatte, zu trinken. Als sie ihren Job verlor, steigerte sie ihren Alkoholkonsum weiter und ließ sich immer öfter von fremden Männern aushalten, um das Geld für den Lebensunterhalt zu beschaffen.
    Wenn sie zu Hause Männerbesuch empfing, schickte sie Jochen immer zu einer Bekannten, die in einem Pizzaservice um die Ecke arbeitete. Dort half er dann ein bisschen mit oder saß einfach nur da und trank eine Apfelschorle, während die Bestellungen eingingen oder Nachtschwärmer vorbeikamen, um sich noch eine Pizza reinzuziehen. Eines Abends kam er zu früh nach Hause zurück. Als er die Wohnungstür öffnete, lag seine Mutter nackt auf den Dielenbrettern im Flur. Zwischen ihren Beinen wälzte sich stöhnend ein nach Schweiß stinkender Mann. Als seine Mutter Jochen in der offenen Tür bemerkte, sprang sie schreiend auf, gab ihm ein paar Ohrfeigen und warf ihn aus der Wohnung. Im dunklen Treppenhaus hatte er damals vollkommen verstört gewartet, bis der Freier endlich gegangen war.
    Er hielt an einer Tankstelle und kaufte sich drei Flaschen Becks, in der Hoffnung, dass das Bier ihn müde machen würde. Als er versuchte, eine der Flaschen mit einem Feuerzeug zu öffnen, begannen seine Hände wieder zu zittern. Er legte die Flasche beiseite und versuchte, das Zittern in den Griff zu bekommen, indem er seine Fingerspitzen mit aller Gewalt ins Lenkrad grub. Es half nichts, er konnte sich nicht beherrschen. Der Hass auf Laura ließ ihn nicht mehr los und wurde immer stärker. In einem plötzlichen Entschluss startete er den Motor und fuhr zu Lauras Wohnung.
    Er parkte den Wagen neben ein paar Mülltonnen, die gegenüber von Lauras Haus am Straßenrand für die Abfuhr bereit standen und sah zu den Fenstern ihrer Wohnung hinauf. Nichts deutete darauf hin, dass Laura noch wach war. Wahrscheinlich lag sie neben ihrem Liebhaber im Bett, glücklich und besudelt von seinem Sperma. Sie lag ruhig in ihrem Bett, unfassbar! Dabei hätte sie es verdient, in einer dieser Mülltonnen zu liegen. In einem Anfall von Hass fing er an, wütend um sich zu schlagen. Wie von Sinnen hämmerte er auf das Armaturenbrett und gegen die Türverkleidung.
    Er hielt erst inne, als sein Blick auf einen in eine Decke gewickelten Gegenstand auf dem Rücksitz fiel. Als er begriff, um was es sich handelte, fühlte er eine Art Ehrfurcht in sich aufsteigen. Langsam hob er den Gegenstand nach vorne und schlug die Decke zurück. Im Licht der Straßenlaterne blitzte die Klinge eines Samuraischwerts auf. Er konnte sich nicht erinnern, wann er das Schwert, das seit Jahren über seinem Schreibtisch hing, von der Wand genommen und ins Auto gebracht hatte. Aber das spielte jetzt auch keine Rolle mehr. Die Reflektion der Klinge im Licht weckte eine unendlich leichte Freude in ihm, die mit jeder Sekunde stärker Besitz von ihm ergriff. Andächtig ließ er seine Finger über den kühlen Stahl des Schwerts streichen und empfand nach Stunden der tiefen Verzweiflung endlich eine beginnende Erleichterung. Er stieg aus, schlug das Schwert in seine Jacke und überquerte mit leichten Schritten die Straße. Noch hatte er den Schlüssel zu Lauras Wohnung. Der Gedanke daran brachte ein triumphierendes Lächeln auf seine Lippen. Als er die Haustür hinter sich geschlossen hatte, verharrte er ein paar Augenblicke und lauschte ins Treppenhaus. Dann hob er
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